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2020/2021/2022
"Es muss endlich was passieren": Davids Blick auf Hoyerswerdas junge Generation
David Sujatta ist fest in Hoyerswerda verwurzelt. Von dort wegzugehen, kann er sich nicht vorstellen. Kindheit und Jugend hat er in Hoyerswerda verbracht, schon seine
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15.02.2022
"Es muss endlich was passieren": Davids Blick auf Hoyerswerdas junge Generation
David Sujatta ist fest in Hoyerswerda verwurzelt. Von dort wegzugehen, kann er sich nicht vorstellen. Kindheit und Jugend hat er in Hoyerswerda verbracht, schon seine Großeltern lebten im Nachbardorf. Die Jugendclubs der Stadt waren fester Bestandteil seines Alltags, zum Freunde treffen, Abhängen, Sport machen - mit viel Freiheit, aber klaren Regeln. Heute ist er selbst Erzieher im "Ossi", dem Jugendclubhaus der RAA Hoyerswerda - und macht sich Sorgen um eine Jugend mit wenig Zukunftsperspektiven und schwindenden sozialen Kompetenzen.
Hört man David beim Erzählen zu, wird schnell deutlich, dass die Themen, mit denen Hoyerswerda oft in Verbindung gebracht wird - Wahlerfolge der AfD oder die rassistischen Ausschreitungen Anfang der 1990er Jahre - in seinem eigenen Leben und dem der Jugendlichen, mit denen er täglich zusammenkommt, kaum eine Rolle spielen. David, 23 Jahre alt und seit 2020 Erzieher im Jugendclubhaus Ossi, macht sich andere Gedanken um die Jugendlichen in seiner Stadt.Soziale Medien statt soziales Miteinander
Mit Sorge beobachtet er, wie digitale Plattformen wie Tiktok und Snapchat mehr und mehr den Alltag der Jugendlichen beherrschen und immer weniger direkte, persönliche Kommunikation stattfindet. Mit falschen Idealbildern im Kopf setzen sich die Heranwachsenden unter Druck und verlernen, konstruktiv mit Konflikten und Problemen umzugehen. Ihre oft einzige Bewältigungsstrategie bei Stress schon in jungen Jahren: "Erstmal eine rauchen". Alkohol- und Tabakkonsum hätten im Vergleich zu seiner eigenen Jugend stark zugenommen, in den letzten beiden Jahren durch die Corona-Krise noch mehr. Hinzu komme bei vielen Jugendlichen eine Perspektivlosigkeit mit Blick auf ihre Berufswahl, vielen mangele es an realistischen Vorstellungen, in welche Richtung der eigene Weg gehen könnte. "In Hoyerswerda gibt es nichts", hört er oft. Die Überalterung der Stadt trage mit dazu bei, dass die Jugend dort für sich keine Zukunft sieht, und in der Schule werde der Fokus viel zu wenig auf lebenspraktisches Lernen gesetzt.Politik kein Thema
Besorgniserregende politische Einstellungen oder eine Spaltung entlang politischer Orientierungen, die etwa die Wahlergebnisse in Sachsen mit einer starken AfD- einerseits und Grünen-Anhängerschaft andererseits unter den jungen Wähler*innen nahelegen könnten, beobachtet David unter Hoyerswerdas Jugend hingegen nicht. Das Interesse an Politik der Jugendlichen sei gering, ebenso die politische Allgemeinbildung, wie kürzlich ein Quiz im Ossi ans Licht gebracht habe.Was die Jugendlichen trennt oder verbindet - so hat er es in seiner eigenen Jugend erlebt und sieht es auch heute - ist vielmehr, wie sie ihre Freizeit verbringen: Die einen mit Sport und Spiel, die anderen mit Trinken und Rauchen. Die sogenannte "Foucault-Gruppe", die sich bereits seinerzeit hierfür vor dem gleichnamigen Gymnasium in Hoyerswerda getroffen hat, besteht bis heute fort.Teenagerzeit im Jugendclub
Mit 12 Jahren ist David von einem Kumpel zum ersten Mal ins Ossi mitgenommen worden - und fand es dort "ganz cool": Man konnte quatschen, Fußball spielen, am PC daddeln, sogar Ausflüge ins Freibad wurden organisiert. Das Ossi war für alle da, mit vielen Möglichkeiten, sich - zwar unter Aufsicht, aber frei - zu entfalten.Wer in das Ossi ging oder eher woandershin, hing für die meisten Jugendlichen in erster Linie von ihrem Wohngebiet ab, so auch für David, der später mehr Zeit in einem anderen Club verbrachte. Dieser hat - wie so vieles in Hoyerswerda - seine Türen längst geschlossen, das Ossi ist heute der einzige Jugendclub der Stadt. Die Tage seiner Jugend hatten feste Abläufe, der Aufenthalt im Club gehörte dazu. Schule, mit der Clique in den Club, dann auf den Sportplatz und abends auf das Gelände des verlassenen Schulgartens der Kopernikusschule, das mit einer leerstehenden Gebäuderuine einen besonderen abenteuerlichen Charme für die Jugendlichen hatte. Mitgenommen aus dieser Zeit hat David viele Freundschaften und soziales Miteinander.Aber: "Es gab immer klare Regeln", in der Schule wie im Elternhaus. Wurden die Grenzen überschritten, hatte dies Konsequenzen. Etwas, das David heute vermisst und das er als Erzieher weitergeben möchte, wenn auch im Ossi als freiwilligem Angebot mit beschränkten Einflussmöglichkeiten. Respekt, auch gegenüber Älteren, Höflichkeit und gute Umgangsformen sind ihm wichtig.
Auf Umwegen zum Erzieher
Als aus einer Bewerbung bei der Polizei, seinem eigentlichen Berufswunsch, nichts wurde, galt es für David ein Jahr zu überbrücken. Auf die Idee, es mit einem sozialen Jahr im Kindergarten zu versuchen, brachten ihn Familie und Freunde - schließlich war er kommunikativ und sich mit Kindern zu beschäftigen, hatte ihm immer Spaß gemacht. Die Arbeit gefiel ihm, und aus einem eigentlich als Übergang geplanten Ausflug in die Pädagogik wurde eine fünfjährige Ausbildung zum Erzieher. Im Ossi, wo er bereits ein Praktikum absolviert hatte und manche Kolleg*innen von früher kannte, konnte David direkt nach seinem Abschluss anfangen.Die schönsten Momente seiner Arbeit sind heute für David die, in denen ihm die Jugendlichen mit ganz persönlichen Gesten ihre Wertschätzung und Verbundenheit ausdrücken oder wenn er das Gefühl hat, etwas bewirkt haben zu können, etwa bei einem Konflikt mit den Eltern. Er hat noch viel vor mit den Jugendlichen: Gerade macht er seinen Trainerschein zum Fitnesscoach und will damit ein neues Angebot für das Ossi starten, das sich die Jungs selbst gewünscht haben. Sport verbindet und hilft beim Stressabbau.Zukunft in Hoyerswerda?
Hoyerswerda braucht mehr kostenlose Angebote für Jugendliche, ist David überzeugt. Der neue Trampolinpark sei zwar gut, aber teuer, die Stadt in den letzten Jahrzehnten immer mehr zerfallen. Viele leerstehende Flächen ließen sie grau und trostlos erscheinen. Einige der Jugendlichen aus dem Ossi sind derzeit bei den Demonstrationen und Autokorsos gegen die Corona-Maßnahmen anzutreffen, erzählt David - nicht, weil dies ihrer Überzeugung entspricht, sondern weil da "etwas los ist".David selbst bleibt in Hoyerswerda, "definitiv". Er sei ein "Rudeltier", fühle sich dort wohl, wo seine Familie und Freund*innen sind. Beruflich hat er eine interessante Perspektive im Ossi, das bald Teil eines neuen generationenübergreifenden Begegnungs- und Bildungszentrums in Hoyerswerda werden soll."Ich brauche keine Großstadt", sagt David. Aber ein bisschen mehr bieten als jetzt sollte Hoyerswerda schon. Er kann diejenigen verstehen, die der Stadt den Rücken kehren oder dort erst gar nicht hinziehen wollen. David hofft, dass aktuelle Vorhaben wie ein Freizeitpark und die geplante Außenstelle der Universität Dresden nicht wieder versanden und neues Leben in die Stadt bringen: "Es muss endlich was passieren".Die Freudenberg Stiftung ist Mitinitiatorin der RAA Hoyerswerda/Ostsachsen und fördert sie seit ihrer Gründung 1993 institutionell und projektbezogen. Sie ist außerdem im Bildungsbeirat der Stadt Hoyerswerda vertreten und gemeinsam mit dieser Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative für gelingende Übergänge von der Schule in den Beruf. Stiftung, RAA Hoyerswerda und RAA Sachsen haben Ende 2021 eine Studie zum Demokratieerleben junger Menschen in Hoyerswerda in Auftrag gegeben.