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29. Januar

Fachtag „Bildung für die digitale Arbeits- und Lebenswelt“ der Weinheimer Initiative e. V.

Die Digitalisierung, derzeit in aller Munde, scheint in vieler Hinsicht noch wie eine Black Box: Wir können ihre Folgen noch nicht genau absehen, aber sicher ist, dass
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29.01.2018

Fachtag „Bildung für die digitale Arbeits- und Lebenswelt“ der Weinheimer Initiative e. V.

Die Digitalisierung, derzeit in aller Munde, scheint in vieler Hinsicht noch wie eine Black Box: Wir können ihre Folgen noch nicht genau absehen, aber sicher ist, dass tiefgreifende Veränderungen in allen Lebensbereichen mit ihr einhergehen.
Das ZCOM Zuse-Computer-Museum Hoyerswerda zeigt die Anfänge der Digitalisierung. (Foto: Freudenberg Stiftung)
Wie können Kommunen aktiv mit diesen Entwicklungen umgehen und ihnen nicht nur hinterherhinken? Diese Frage stellte sich der Fachtag „Bildung für die digitale Arbeits- und Lebenswelt“ der Weinheimer Initiative am 29. und 30.01.2018 im ZCOM Zuse-Computer-Museum Hoyerswerda.

Neue Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine

Automatisierungsprozesse betrafen zunächst die Produktion, dann Dienstleistungen, nun Wissen. Im Internet 4.0 kommunizieren nicht mehr Menschen miteinander, sondern Dinge. Durch die Auswertung immenser Datenflüsse haben sich neue Ökonomien und betriebsübergreifende Wertschöpfungsketten entwickelt, Handlungsträgerschaften verändert. Vernetzte Menschen und Maschinen entscheiden kooperativ, so Prof. Spöttl von der Universität Bremen. Wie wird sich die Rolle des Menschen weiter verändern? „Der autonome Gegenstand steuert die Arbeit und den Menschen in Echtzeit“, fasst Welf Schröter vom Forum Technikgestaltung als Szenario der nahen Zukunft zusammen.
Überflüssig in der Arbeitswelt wird der Mensch durch die Digitalisierung jedoch nicht, relativiert Klaus Burmeister von foresightlab: Nicht Berufe, sondern Tätigkeiten würden wegfallen, andere wiederum neu entstehen – in einem Umfang, über den noch kein Konsens besteht. Es lässt sich jedoch absehen, dass es vor allem einfache Tätigkeiten sind, die sich leicht automatisieren lassen, während Facharbeiter*innen und hoch Ausgebildete gefragt bleiben. Fest steht auch, dass sich Arbeitsprozesse massiv in allen beruflichen Feldern und Ebenen verändern werden, und dass mit diesen Veränderungen wiederum neue Anforderungen an die gesamte Arbeitsorganisation sowie die Fähigkeiten der Individuen einhergehen.

Welche Bildung für die Gesellschaft 4.0?

Digitalisierungsprozesse bergen nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für mehr Bildungsgerechtigkeit, z. B. durch stärker individualisierte und stärker standardisierte Bildungsformen. Wie aber lässt sich eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft erreichen? Kurt Jaeger vom ChaosComputerClub Stuttgart plädiert für eine radikale Digitalisierung bottom up: Bürger*innen müssten befähigt werden, Software nicht nur anzuwenden, sondern sie selbst zu entwickeln. In dezentralen kommunalen Open-Source ITK-Infrastrukturen sieht er einen Weg, um einem zunehmenden Kontrollverlust durch monopolisierte digitale Systeme entgegenzuwirken und Kommunen und ihre Bürger*innen mit einer gewissen technologischen Souveränität auszustatten.

Digitale Bildung ist somit weit mehr als nur technische Anwendungskompetenz und umfasst auch die Fähigkeit, digitale Prozesse mitzugestalten, aber vor allem auch, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie sollte integraler Bestandteil zeitgemäßer Allgemeinbildung und in eine Werteerziehung eingebettet sein, wird in der Diskussion immer wieder hervorgehoben. Eine ganzheitliche Herangehensweise an das Thema Digitalisierung unterstreicht insbesondere Welf Schröter. "Komplexitätskompetenz" sieht er dabei als Schlüsselkompetenz für eine Zukunft, in der Menschen mit Entgrenzung und einer drastischen Zunahme an Abstraktion in ihrem Alltag umzugehen lernen müssen. Insbesondere Betriebe würden ihre sozial-kulturelle Bedeutung als alltagsstrukturierende physische Orte verlieren, indem sich die Arbeitsrealität von immer mehr Menschen in ortsunabhängige Formen der Selbstständigkeit verlagern würde. Dadurch, so Schröter, stehe der gesellschaftliche Zusammenhang auf dem Prüfstand. Der Beitrag von Kommunen müsse hier sein, neue Angebote zur Identifikation und Verortung zu schaffen, z. B. Institutionen wie Bibliotheken als Co-Working-Spaces nutzbar zu machen.

Kommunen verlieren im Zuge der Digitalisierung also nicht etwa ihre Rolle als identitäts- und infrastrukturstiftende Gemeinschaften, wie sich vielleicht vermuten ließe, sondern sie sind umso mehr gefragt, eine Brückenfunktion zwischen gleichsam stärker entgrenzten und vernetzten Lebensbereichen einzunehmen. Digitalisierung, so machte der Fachtag wieder einmal mehr deutlich, ist nur an der Oberfläche ein technisches Thema – die größte Herausforderung liegt in ihrer gesellschaftlichen Gestaltung.

Die Freudenberg Stiftung war Mit-Initiatorin der Weinheimer Initiative e. V. und arbeitet nach wie vor in der Arbeitsgemeinschaft mit.