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11.10.2018
"Living with Islamophobia": Internationale Konferenz zu antimuslimischem Rassismus
In einer gemeinsamen Konferenz des Jüdischen Museums, des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), der Alice Salomon Hochschule Berlin, der Universität Salzburg und des Rats für Migration diskutierten am 11. und 12. Oktober 2018 internationale Islamforscher*innen ein in Deutschland bislang vernachlässigtes Thema. Mit der Auswahl der Referent*innen wollten die Veranstaltenden explizit die Perspektive muslimisch markierter Menschen selbst in den Fokus rücken.
Foto: Freudenberg Stiftung
Während Rassismus hierzulande insgesamt wenig akademische und politische Aufmerksamkeit erhält und auch im öffentlichen Diskurs „Rassismus“ zumeist mit Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe assoziiert wird, zeigten die beteiligten Forscher*innen, wie tief strukturell und historisch verankert Islamophobie in Europa, aber auch in den USA und Kanada ist, dabei mit anderen Kategorien wie Gender wechselwirkt und in wandelnde Narrative eingebettet wird.
Ein vielschichtiges Phänomen mit langer Geschichte
In Deutschland wurde der "Ausländer" der 1990er Jahre mittlerweile zum "Muslim", aufgeheizte Debatten über Kopftuch, "Ehrenmorde" und islamistisch motivierte Anschläge bestimmen den Diskurs. Dies zeigt: Religion, und insbesondere der Islam, ist zu einem zentralen Differenzmarker und einer relevanten Kategorie für staatliche Steuerungsprozesse geworden. Gleichzeitig verbirgt sich hinter Islamophobie weit mehr als nur das Othering einer bestimmten Religion, sondern ein Amalgam aus rassistischen, kulturellen und religiösen Stereotypen.
Anti-muslimischer Rassismus darf jedoch nicht als psychologisches Phänomen verstanden werden, wie etwa der Begriff „Islamophobie“ suggeriert, sondern erfordert eine Analyse seiner historischen Verankerung und seiner aktuellen politischen und gesellschaftlichen Funktion. Gerade der neoliberale Staat neige dazu, Rassismus als Problem der individuellen „Haltung“ zu privatisieren und die Verantwortung so auf Einzelpersonen oder den zivilgesellschaftlichen Sektor auszulagern, betonte James Carr (University of Limerick). Trotz der großen Bedeutung, die auch alltägliche rassistische Mikroaggressionen für das individuelle Empfinden haben, seien aber Staaten durch diskriminierende bürokratische und rechtliche Praxis die größten (Re-)produzenten von anti-muslimischem Rassismus.
Prof. Meyda Yeğenoğlu (Duke University) zeigte in ihrer Keynote, dass sich antimuslimischer Rassismus historisch weit zurückverfolgen lässt. Hatte Islamophobie jedoch im 18. und 19. Jahrhundert während der Kriege gegen das Osmanische Reich allen voran politische und anschließend im Zuge der Aufklärung religiöse Gründe, indem dem Islam eine Unfähigkeit der Trennung von Staat und Religion zugeschrieben wurde, werde der Islam im gegenwärtigen postsäkularen Europa zum kulturellen, inneren Feind. Steht also hinter Islamophobie zwar immer die essentialisierte Zuschreibung einer „muslimischen Identität“, unterliegt die Rahmung des antimuslimischen Rassismus jedoch auf der Grundlage eines lange bestehenden Repertoires an stereotypen Zuschreibungen einem kontinuierlichen Wandel. Zunehmend setzen sich Narrative über den Islam als Religion des Terrors und Fanatismus durch und Islamophobie werde als "Kampf gegen den Terror" normalisiert. Dabei diene Islamophobie in erster Linie der Abgrenzung und Selbstvergewisserung Europas selbst. Im Umkehrschluss gelte es eine neue Zukunftsvision für Europa zu entwerfen, die Reinheits-Phantasmen dekonstruiert und Islam und Kolonialismus als Teil der eigenen Identität anerkennt: Der Prozess der De-Kolonialisierung in Europa müsse radikalisiert werden.
Schule als Hort des anti-muslimischen Rassismus in Deutschland?
Für den deutschen Kontext lässt sich beobachten, dass was einst als "gesellschaftliches Problem" galt, z. B. die frühe schulische Teilung, sozialräumliche Segregation oder Lohnungleichheit, zum kulturalisierten ("muslimifizierten") Problem wurde. Eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung spricht Muslim*innen zwar durchaus dieselben Rechte wie Nicht-Muslim*innen zu, so eine aktuelle Studie von Naika Forountan et al., jedoch lediglich auf abstrakter Ebene: Geht es um konkrete Problemstellungen wie etwa Schächtung, Moscheebauten oder männliche Beschneidung, überwiegt ebenso mehrheitlich eine ablehnende Haltung. Insbesondere in Deutschland erweist sich dabei die Schule als zentraler Ort der (Re-)Produktion antimuslimischen Rassismus: Prof. Yasemin Karakaşoğlu, neu gewählte Vorstandsvorsitzende des Rats für Migration, spricht vom "Störfaktor Islam" als allgegenwärtiges und zumeist undifferenziert eingesetztes "Interpretationstool" von Lehrer*innen. Dieses führe zu einer entpersonalisierten Perspektive auf Schüler*innen, indem nicht mehr ihre individuellen Biografien und Lebenssituationen zur Erklärung bestimmter Verhaltensweisen betrachtet, sondern diese pauschal auf ihre muslimische Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden.
Islamophobie nach 9/11 in USA und Kanada
In den USA muss antimuslimischer Rassismus seit Ende des Zweiten Weltkrieges und verstärkt seit Ende des Kalten Krieges als in ein imperialistisches Projekt eingebettet begriffen werden, das einen immensen Sicherheitsapparat in Gang gesetzt hat (Deepa Kuma, Rutgers University). Der Islam sei "one of the great countries of the world", versuchte Solicitor General Noel Francisco im Zuge des sogenannten travel ban in 2017, von welchem überwiegend muslimische Länder betroffen waren, die internationale Empörung zu beschwichtigen und brachte damit auf den Punkt, dass in den USA der Islam – nicht erst, aber insbesondere – seit 9/11 als totalitäre politische Entität und nationale Kategorie wahrgenommen wird. Auch Kanada, scheinbares Vorzeigeland des friedvollen Zusammenlebens in Vielfalt, verwandelte sich nach 9/11 laut Jasmin Zine (Wilfrid Laurier University) in eine "panoptische Gesellschaft", in der Muslim*innen zu einer physischen Gefahr und Anti-Bürger*innen wurden. Neue ontologische Kategorien wie der "Djihadist" und eine permanente (unbewusste) Selbst-Überwachung der Muslim*innen selbst zogen tiefgreifende Veränderungen ihrer Subjektivierungsprozesse mit sich.
Not! Living with Islamophobia: Strategien zur Überwindung von antimuslimischem Rassismus
Das Jüdische Museum als Veranstaltungsort hatte im Vorfeld Kontroversen ausgelöst, setzte aber ein starkes Zeichen dafür, dass sich Minderheiten über bestehende Konflikte hinweg in strategischen Allianzen und Solidargemeinschaften zusammenschließen und Rassismus intersektional bekämpfen müssen. Eine solche Solidarisierung gerade jüdischer Verbände mit Betroffenen von „Ausländerhass“ war in Deutschland noch bis in die 1990er Jahre Normalität; erst in den 2000er Jahren, nach der zweiten Intifada und 9/11, kam es zu einer Diskursverschiebung, erläuterte Prof. Werner Schiffauer (RfM). Zu dieser gehöre auch, dass seither Antisemitismus häufig auf Muslim*innen projiziert und damit ausgelagert werde. Dabei ähneln gerade die Stereotype, die Muslim*innen zugeschrieben werden, antisemitischen Vorurteilen zum Teil stark, z. B. Verschwörungsideologien über geheime Agenden und Weltherrschaftsansinnen, und auch konkrete politische Streitfragen wie die der Schächtung oder männlichen Beschneidung überlappen sich.
Den tief in die Gesellschaft eingeschriebenen antimuslimischen Rassismus gilt es zu überwinden, ohne die Binarität zwischen "guten" und "schlechten" Muslim*innen zu befördern oder sie in einen Opferdiskurs zu drängen. "Just normalise muslims, we are not aliens […] or monsters", zitierte James Carr (University of Limerick) eine seiner jugendlichen Interviewpartner*innen. Neben intersektionaler Allianzenbildung müssen Muslim*innen hierbei zwischen strategischer Selbst-Markierung ("strategischer Essentialismus") und Nicht-Markierung manövrieren; gesamtgesellschaftlich sind eine konsequente Gesetzgebung gegen Hassverbrechen, eine stärkere Inklusion von Muslim*innen in Medien und Bildungswesen sowie psychosoziale Anlaufstellen und Awareness Raising gefragt. Reflexionsräume schaffen und die Resilienz von Muslim*innen stärken können Ansätze sein, um sowohl die theoretische Struktur von Rassismus aufzudecken als auch deren alltägliche Manifestation zu bekämpfen.
Die Freudenberg Stiftung unterstützt den Rat für Migration seit seiner Gründung 1998. Der Rat für Migration ist Träger des Mediendienst Integration, einer Informations-Plattform für Medienschaffende zu den Themen Migration, Integration und Asyl in Deutschland.