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16. November

Herausforderung angenommen? Konferenz zur EU-Migrationspolitik

Gemeinsam mit dem Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments, dem Auswärtigen Amt und der Allianz Kultur Stiftung veranstaltete die Freudenberg Stiftung am 16. November in Berlin die Konferenz "Herausforderung angenommen? Auf dem Weg zu einer neuen
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16.11.2018

Herausforderung angenommen? Konferenz zur EU-Migrationspolitik

Gemeinsam mit dem Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments, dem Auswärtigen Amt und der Allianz Kultur Stiftung veranstaltete die Freudenberg Stiftung am 16. November in Berlin die Konferenz "Herausforderung angenommen? Auf dem Weg zu einer neuen EU-Migrationspolitik". Ziel war es, Vertreter*innen aus Politik, Kultur, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammenzubringen, um gemeinsam Lösungsansätze für eine europäische Migrationspolitik zu diskutieren.
Foto: Bernhard Ludewig
Ein Ausrufe- anstatt eines Fragezeichens im Titel wäre den Veranstaltenden lieber gewesen: Bei der ersten gemeinsamen Konferenz zur EU-Asyl- und Migrationspolitik der Allianz Kulturstiftung und dem Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments vor rund zwei Jahren hatte man sich für 2018 eine andere Realität erhofft, so Esra Küçük, Geschäftsführerin der Allianz Kulturstiftung. Doch anstatt eines solidarischen Umgangs mit den durch Flucht und Migration entstandenen Herausforderungen nehmen europaweit nationale Alleingänge zu, die Zahl der im Mittelmeer Ertrunkenen stieg in 2018 im Vergleich zu den Vorjahren proportional an. Auch die Tatsache, dass die Anzahl der in der EU gestellten Asylanträge seit 2017 um rund ein Drittel gesunken ist, könne mitnichten als Zeichen gewertet werden, dass die EU die "Herausforderung bestanden" habe, so auch Frank Piplat, Leiter des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments. Umso mehr seien nun alle Ebenen der Politik, also auch Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kultur, gefragt, die politisch wie symbolisch bedeutsame Frage nach gemeinsamen europäischen Lösungen entschlossen anzugehen. Um zu einer Migrationspolitik zu gelangen, die "menschlich", insbesondere in Krisenzeiten flexibel und gleichzeitig "vernünftig und gewinnbringend" sein kann, müssen wir uns aber zunächst in breiteren und lokalen, aber nicht populistisch vereinfachten Diskussionen außerhalb unserer gewohnten Echokammern die Frage stellen, in was für einer Gesellschaft wir überhaupt leben wollen, betonte Sascha Wenzel, Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung, die wie das Auswärtige Amt erstmals die diesjährige Konferenz mitveranstaltete. Für ein Grußwort gewonnen werden konnte zudem Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die die Anwesenden ermutigte, sich vom grassierenden Populismus nicht "lähmen" zu lassen, sondern gemeinsam in lebendigen Debatten um nachhaltige internationale Lösungen zu "wetteifern", die über eine "humanitäre Hilfe" hinausgehen und auch "Hilfe zur Humanität" miteinschließen.

Migrationspolitik neu denken

Prof. Dr. Manuela Bojadžijev, Vize-Direktorin des Berliner Instituts für Integrations- and Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt Universität Berlin, beobachtete in ihrem Leitimpuls des ersten Panels der Konferenz "Migration als Motor der Erinnerung – Legale Zuwanderung in die Europäische Union" derzeitig eine "apokalyptische" Überbewertung der Migration bei ihrer gleichzeitigen Entwertung als historische Bewegung, die gerade nach dem Zweiten Weltkrieg einen konstituierenden Beitrag zum Prozess der Europäisierung geleistet habe. Bojadžijev forderte daher einen grundlegenden Perspektivenwechsel in der europäischen Migrationspolitik. Die zentrale Frage müsse künftig sein, wie Migrationspolitik als integraler Bestandteil einer solidarischen Gesellschaftspolitik zur Demokratisierung Europas beitragen könne. Migrationspolitik dürfe also einerseits nicht mehr als separater Teilbereich behandelt, andererseits auch in keinem Bereich der Politik außen vor gelassen werden. Nur eine Öffnung gegenüber dem Außen anstatt einer Abschottung könne den allgegenwärtigen transnationalen Bezügen Rechnung tragen und müsse sich auch diskursiv widerspiegeln, indem zum Beispiel nicht haltbare Dichotomien zwischen "Migrant*innen", "Geflüchteten" und "Alteingesessenen" aufgehoben werden.
Elmar Brok, Mitglied des Europäischen Parlaments und des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, knüpfte in der anschließenden Diskussion an die bedeutende Rolle der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Migration an und kritisierte, dass sich die derzeitige Diskussion in Deutschland auf dem "Stand von 2015" bewege. Politik und Medien gelänge es nicht zu kommunizieren, dass nachweislich kein "Verlust von Ordnung" herrsche wie in weiten Teilen der Öffentlichkeit angenommen. Dr. Ahmed Bugri von der Foundation for Shelter and Support to Migrants (Malta) betonte für den afrikanischen Kontext, dass Migration dort, entgegen den hiesigen Diskursen, nicht als "Problem", sondern als Motor für Entwicklung und Armutsbekämpfung betrachtet werde. Armut und fehlende berufliche Möglichkeiten, nicht politische Gründe, seien die Hauptursachen von Migration, Abhilfe könnten folglich Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten schaffen sowie Rückkehrhilfen, die auch aus der Perspektive der Betroffenen einen tatsächlichen Neustart im Herkunftsland ermöglichen, so Bugri. Selektive Einwanderungsgesetze hingegen sieht Bugri kritisch: Migration dürfe kein neuer "Sklavenmarkt" werden, bei dem nur die "Fittesten" eine Chance haben. Elmar Brok wie auch Dr. Geis-Thöne vom Deutschen Wirtschaftsinstitut hingegen warnten eher vor einem möglichen Brain Drain aus den Herkunftsländern durch ein europäisches Einwanderungsgesetz und unterschieden zwischen einer gezielten Anwerbung und einer Möglichkeit einzuwandern. Gleichzeitig, so Brok, dürfe sich eine Afrika-Politik nicht auf "Entwicklung" beschränken, sondern müsse eine reformierte Handelspolitik ebenso wie sicherheitspolitische Aspekte umfassen.

Lernen von lokalen Modellen

"In Palermo gibt es keine Migrant*innen", behauptete Leoluca Orlando, Bürgermeister der Hauptstadt Siziliens, in einem inbrünstigen Plädoyer für eine offene, auf Menschenrechten basierende Gesellschaft. Denn: "Alle, die in Palermo leben, sind Palermitaner!". Orlando war für einen Leitimpuls des Panels "In der Europäischen Union angekommen – Integration vor Ort gestalten" eingeladen worden, da Palermo derzeit einen Lichtblick in Europa darstellt hinsichtlich der Inklusion und Wertschätzung von Asylsuchenden und Migrant*innen. Für sein Engagement ist Leoluca Orlando 2018 mit dem Heine-Preis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet worden, aber auch von seiner eigenen Stadt nun schon zum vierten Mal wiedergewählt. Als italienische Kulturhauptstadt und Gastgeberin der zwölften Manifesta, der europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst, kann Palermo in 2018 wie nie zuvor zeigen, dass sie sich in den vergangenen fünfzig Jahren von der "Mafiastadt" hin zu einer der offensten europäischen Metropolen entwickelt hat. Mit Blick auf das positive Beispiel Palermos schlug Gesine Schwan, frühere SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin, aus dem Publikum die Einrichtung eines EU-Fonds vor, der Kommunen, die auf freiwilliger Basis Geflüchtete aufnehmen, bei deren Inklusion sowie mit weiteren Anreizen unterstützt und kritisierte gleichzeitig, dass sich die Bundesrepublik derzeit solchen Plänen entgegenstelle.

Hinsichtlich der gesellschaftlichen Inklusion und Teilhabe von Roma führte Romeo Franz, Mitglied des Europäischen Parlaments und engagiert für die Hildegard Lagrenne Stiftung, Dortmund als positives Beispiel an, wo es mit Hilfe der Hildegard Lagrenne Stiftung gelungen sei, dass die Stadt längst nicht mehr als "Problem-Kommune" in Sachen Roma-Inklusion gelte. In einem Dialog auf Augenhöhe waren dort Lösungsansätze mit der Zielgruppe gemeinsam erarbeitet und implementiert worden. Vielerorts hinderten paternalistische Ansätze, die die Roma selbst nicht mit einbeziehen, das Gelingen von Programmen und Projekten, zudem führe Korruption in vielen Ländern dazu, dass EU-Gelder zur Inklusion von Roma nicht wie vorgesehen verwendet und viele Roma in einer "entmenschlichten Situation" leben.
Für Romeo Franz wie auch für die Publizistin und Sprecherin der Neuen Deutschen Organisationen (NDO) Ferda Ataman stand fest, dass die lokale Ebene für die Inklusion neu Zugewanderter eine tragende Rolle spielt und dafür insbesondere das Kommunalwahlrecht ausgeweitet werden müsse: Nur wenn sich die politische Partizipation von Migrant*innen nicht länger auf separate "Beiräte" beschränke, deren Ansicht nicht obligatorisch befolgt werden muss, können sie tatsächlich gesellschaftlich partizipieren und werden auch als Wähler*innen ernst genommen. Ataman wies dabei auf eine Ambivalenz in der deutschen Gesellschaft hin: Zum einen halte sich der Mythos einer homogenen weißen Gesellschaft hartnäckig; der zugeschriebene Migrationsstatus klebt über mehrere Generationen hinweg an den Menschen mit Migrationshintergrund. Zum anderen sei die Unterstützungsbereitschaft gegenüber Fluchtmigrant*innen in der Bundesrepublik nach wie vor bei einem Großteil der Bevölkerung weitaus höher als es das mediale Bild vermittle.

Herausforderung angenommen? Auf dem Weg zu einer neuen Migrationspolitik

Im zweiten Teil der Konferenz diskutierten Vertreter*innen der europäischen wie deutschen Politik gemeinsam mit dem Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, den Status quo und mögliche neue Wege einer europäischen Migrationspolitik. Olivier Ondini, Stellvertretender Generalsekretär für Migration und Inneres der Europäischen Kommission, riet in seinem Leitimpuls dazu, nicht über- aber auch nicht zu unterschätzen, was die EU seit 2015 erreicht habe. Beschwichtigend verglich er die derzeitigen Unstimmigkeiten unter den Mitgliedsstaaten mit "Meinungsverschiedenheiten in der Familie" und appellierte zu Optimismus, da es letztlich im Interesse aller sei, eine gemeinsame Lösung in der Asylpolitik zu finden. Die EU wolle auch künftig eine offene und gleichzeitig gesicherte Aufnahme von Migrant*innen gewährleisten und sei schon allein aus Eigeninteresse auf Zuwanderung angewiesen. Ondini strich heraus, dass insbesondere in den Transit- und Herkunftsländern niemals zuvor mehr investiert wurde als aktuell und dass auch bereits wirksame Instrumente z. B. zur Seenotrettung und zur Angleichung der Ankunftsbedingungen erarbeitet worden seien. Es gelte nun, langfristige Perspektiven zu entwickeln, um auf immer wiederkehrende Krisen besser vorbereitet zu sein. Für dieses Ziel müssten insbesondere nationale Reformen begleitet, das Solidaritätsprinzip unter den Mitgliedstaaten obligatorisch durchgesetzt sowie ein gemeinsamer europäischer Rahmen für die Integration von Migrant*innen durchgesetzt werden.

Der UN-Migrationspakt, der zurzeit in Deutschland für scharfe Kontroversen sorgt und trotz seiner Rechtsunverbindlichkeit die internationale Migrationspolitik auf die Probe stellt, war zentraler Teil der anschließenden Diskussion. Die Bundesregierung habe das "Verhetzungspotenzial" des Dokuments unterschätzt, räumte Ulrich Weinbrenner vom Bundesministerium des Inneren ein. Letztlich sei es aber Kernbotschaft des Migrationspakts, Migration als internationale Verantwortung anzuerkennen und dabei eine grundsätzlich positive Perspektive auf Migration einzunehmen. Weinbrenner betonte gleichzeitig, dass es "kein Menschenrecht auf Migration" gebe und verteidigte den Ansatz, Asylprüfstellen auch außerhalb der EU zu errichten sowie die Binnenmigration von Migrant*innen einzuschränken. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, verwies insbesondere auf das im Pakt eingeschriebene "Recht auf Leben", das zum Beispiel zur Seenotrettung verpflichte: "Wer aus dem Pakt aussteigt, steigt aus den Menschenrechten aus", warnte er eindringlich und klagte an, dass das Recht der Migrant*innen auf eine effektive Rechtsbetreuung gegenwärtig in Deutschland mehr und mehr systematisch verletzt werde und wiederholt ungesetzmäßige Rückführungen im Schnellverfahren durch die Bundespolizei vollzogen worden seien.

Ebenso im Panel vertreten war Cécile Kashetu Kyenge, Mitglied des Europäischen Parlaments und stellvertretende Vorsitzende der AKP-EU-Delegation im Europäischen Parlament. Sie kritisierte vor allem das Dublin-Abkommen, das gleich mehrere Grundprinzipien der EU, insbesondere das Recht auf Freizügigkeit sowie die gegenseitige Verpflichtung zu Solidarität und Gleichverteilung der Verantwortung verletze. Als zentrales Problem betrachtet Kyenge zudem, dass Verträge und Abkommen, z. B. auch das Menschenrecht zu migrieren, von unterschiedlichen Staaten jeweils auf ihre eigene Weise ausgelegt werden. Bei aller Kritik sieht sie die EU aber auch auf einem guten Weg: Mehr und mehr finde eine verstärkte Reflexion darüber statt, was "wir eigentlich unterschrieben haben" und Staaten wie Polen werden erstmals sanktioniert, wenn sie die gemeinsamen Werte nicht einhalten. "[Menschen-]Rechte sind 'tragbar'" und gelten immer, erinnerte Kyenge – auch oder gerade während Flucht und Migration.
Die Vielstimmigkeit der europäischen Migrationspolitik auf staatlicher, zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene kam im Allianz Forum auf kleinem Raum zur Geltung und für den anfänglichen Appell der Veranstaltenden, in einen konstruktiven, aber nicht einseitigen Dialog auf demokratischer Wertebasis zu treten, wurde ein Grundstein gelegt. Die 2019 anstehende Europawahl wird eine wichtige Zäsur dafür darstellen, in welche Richtung sich die EU bewegt – und ob sie endlich bald von sich behaupten kann, die "Herausforderung angenommen" zu haben.

Video-Mitschnitt der Konferenz