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15.07.2020

"Drei Sprachen sind genug fürs Abitur!" Ein Reformvorschlag für den Abbau der Diskriminierung von mehrsprachig Aufgewachsenen bei Schulabschlüssen

Das deutsche Schulsystem befördere eine "Zwei-Klassen-Mehrsprachigkeit", kritisiert Dr. Dita Vogel in ihrem Debattenbeitrag für den Rat für Migration. Sie fordert einen erweiterten Rechtsanspruch auf Sprachprüfungen, um eine nachhaltige Veränderung der Bildungssituation von mehrsprachig Aufgewachsenen zu erreichen. Entstanden ist der Vorschlag im Rahmen des Projekts "Transnationale Mobilität in Schulen" (TraMiS).
Stellen wir uns einen Jugendlichen in der siebten Klasse eines Gymnasiums vor, der mit Arabisch als Familiensprache aufgewachsenen ist und seit der vierten Klasse eine deutsche Regelschule besucht. Da das Abitur in Deutschland zwei Fremdsprachen erfordert, kommt nun neben Englisch noch Französisch oder Latein hinzu. Faktisch muss er also drei neue Sprachen erlernen und zudem alle Schulfächer auf Deutsch bewältigen. Dabei könnte er sogar mehr Fortschritte im Deutschen machen, wenn er anstatt einer weiteren Fremdsprache seine Erstsprache Arabisch mündlich und schriftlich weiterentwickeln dürfte. Mit Lern- und Prüfungsmöglichkeiten in Arabisch, Deutsch und Englisch hätte er eine faire Chance, seine Potenziale zu entfalten und das Abitur zu bestehen, so Dr. Dita Vogel.

Rund 21 Prozent der Kita-Kinder in Deutschland – vermutlich noch mehr – wachsen mit einer nicht deutschen Familiensprache auf. Wertgeschätzt werden diese Herkunftssprachen im deutschen Schulsystem jedoch bislang nicht. "Elitesprachen" stehen "Armutssprachen" gegenüber (nach Krumm 2003).

Alle Sprachen sollten prinzipiell gleichgestellt sein und für den ersten Schulabschluss Kompetenzen in zwei, für das Abitur in drei Sprachen ausreichen, sind daher die Grundideen des Reformvorschlags. Auf die Prüfung der Kompetenzen in allen Sprachen fordert Dr. Vogel einen Rechtsanspruch.

So könnte erreicht werden, dass gerade zugewanderte Schüler*innen seltener ohne Abschluss die Schule verlassen, häufiger das Abitur schaffen und in ihrer Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung gestärkt werden. Aber auch andere Gesellschaftsbereiche und der Wirtschaftsstandort Deutschland würden hinzugewinnen.

Zum gesamten Beitrag von Dr. Dita Vogel und den Kommentaren weiterer Wissenschaftler*innen des Rats für Migration dazu hier.


Die Freudenberg Stiftung unterstützt den Rat für Migration seit seiner Gründung 1998 und ist Kooperationspartnerin des Projekts TraMiS der Universität Bremen.