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18. September

Kein Dach über dem Leben: Szenische Lesung im Community Art Center Mannheim

Das Thema Obdachlosigkeit stand im Fokus der szenischen Lesung am 18. September 2021 im Community Art Center Mannheim, die bereits zum zweiten Mal stattfand: Es ging um
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18.09.2021

Kein Dach über dem Leben: Szenische Lesung im Community Art Center Mannheim

Das Thema Obdachlosigkeit stand im Fokus der szenischen Lesung am 18. September 2021 im Community Art Center Mannheim, die bereits zum zweiten Mal stattfand: Es ging um die Geschichte Richard Brox', geboren und aufgewachsen in Mannheim, dem nach dreißig Jahren Obdachlosigkeit über die Veröffentlichung seiner Biografie der Absprung vom Leben auf der Straße gelang. Brox selbst war anwesend und beantwortete im Anschluss die vielen interessierten Fragen aus dem Publikum.
Foto: COMMUNITYartCENTERmannheim
Wie kommt es eigentlich dazu, dass ein Mensch obdachlos wird? Diese Frage stand im Fokus der szenischen Lesung von Richard Brox' Biografie "Kein Dach über dem Leben" (2017) mit Schauspielerin Hedwig Franke. Die Besetzung führte vor Augen, dass von Obdachlosigkeit auch viele Frauen betroffen sind.

Die Zuschauer*innen tauchten ein in Richard Brox' trostlose Kindheit, kaum beachtet von seinen alkoholkranken Eltern, die beide das KZ überlebt hatten, kaum mit dem Nötigsten versorgt. Er wurde durch die verschiedensten Heime gereicht, machte auch dort Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, rutschte später in die Drogensucht ab. Die Schule besuchte er insgesamt nur drei oder vier Jahre. Kurz nach dem Tod seiner Mutter 1985 dann die Zwangsräumung aus deren Wohnung. Brox war einundzwanzig Jahre alt und hatte eine Viertelstunde Zeit, um sein früheres Leben in zwei Plastiktüten zu packen.

"Ein seltsames Gefühl, seine eigenen Worte von einer anderen Person zu hören", sagt Brox im anschließenden Gespräch mit Dr. Angela Wendt, der künstlerischen Leiterin des Projekts. Ohne viel Pathos wurde das Publikum von Schauspielerin Hedwig Franke in seine Vergangenheit mitgenommen, nur die längeren Pausen ließen die schlichte Dramatik des Gesagten ihre Wirkung entfalten.

Über die Möglichkeit, seine Geschichte niederzuschreiben und zu veröffentlichen, schaffte Brox' vor einigen Jahren den Weg zurück in ein Leben mit einem "Dach". Er ist heute in der Sterbebegleitung für schwerkranke Obdachlose aktiv und arbeitet an einem neuen Buchprojekt. Aber immer noch spürt er die psychischen Folgen des Erlebten, leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer manisch-depressiven Erkrankung.

Eine Wohnung zu haben, ist das Wichtigste, um Obdachlosen ihre Würde zurückzugeben, und auch das einzig Wirksame, ist Richard Brox überzeugt. Provisorische Angebote wie Übernachtungsmöglichkeiten, Dusch- oder Wärmebusse würden letztendlich ein Leben auf der Straße sogar fördern. Passant*innen sollten Obdachlosen auf Augenhöhe begegnen, sie fragen, womit sie wirklich helfen könnten.

"Ich bin mit meinem heutigen Leben zufrieden", sagt Brox. Wichtig wäre ihm noch eine offizielle Entschuldigung der Stadt Mannheim für die Zwangsräumung damals, die bis heute aussteht.


Die Freudenberg Stiftung unterstützt das COMMUNITYartCENTERmannheim zusammen mit der Stadt Mannheim, der Heinrich-Vetter-Stiftung, der BT Spickschen Stiftung und den Open Society Foundations. Das Projekt "Kein Dach über dem Leben" wurde zusätzlich von der Stadt Mannheim und der LBBW Stiftung gefördert.