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22. Februar

Amadeu Antonio Stiftung: Der russische Angriffskrieg und Verschwörungserzählungen

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine jährt sich am 24. Februar zum ersten Mal. Von Beginn an wurde dieser Krieg mit Verschwörungserzählungen und Desinformationen
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22.02.2023

Amadeu Antonio Stiftung: Der russische Angriffskrieg und Verschwörungserzählungen

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine jährt sich am 24. Februar zum ersten Mal. Von Beginn an wurde dieser Krieg mit Verschwörungserzählungen und Desinformationen gerechtfertigt, die weit über Russland hinaus, auch in Deutschland, Resonanz finden. Welche Narrative und Mechanismen dahinter stehen und wie demokratiefeindliche Gruppierungen den Krieg für ihre Zwecke instrumentalisieren, war Thema bei "Debunk Spezial" am 22.02.2023 mit Impulsvorträgen von Andrej Steinberg und Benjamin Winkler (Amadeu Antonio Stiftung).
Putins Rede zur Lage der Nation am 21.02.2023 war ein weiteres Paradebeispiel dafür, wie der Kreml versucht, bestimmte Propagandaerzählungen durch gezielte Falschinformation begründen. Die Lügen und Behauptungen laufen alle in einer Verschwörungsideologie zusammen, die einen welterklärenden Zusammenhang bietet: die einer kollektiven "westlichen Elite", deren Ziel die Vernichtung Russlands sei.

Durch Täter-Opfer-Umkehr und konstruierte Feindbilder will Russland den Krieg im Inland wie Ausland rechtfertigen, Zustimmung und Unterstützung sicherstellen und Proteste gegen Waffenlieferungen und Sanktionen mobilisieren. Übergeordnet geht es auch darum, westliche Demokratien zu destabilisieren und die rechten Ränder zu stärken, so Andrej Steinberg, der gemeinsam mit Manja Vitter für die Amadeu Antonio Stiftung eine neue Studie zu demokratiefeindlichen Narrativen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine veröffentlicht hat.

Verbreitet wird die kremlnahe Propaganda in Deutschland vor allem durch staatlich finanzierte Auslandsmedien, verschwörungsideologische "Alternativmedien", Social Media Plattformen wie Telegram, aber auch von Politiker*innen von AfD und der Linken.

Feindbilder "Ukraine" und "der Westen"

Um die Ukraine zum Feindbild zu stilisieren, wird behauptet, sie werde seit 2014 nach dem sogenannten Euromaidan von Neonazis regiert und ukrainische Truppen hätten einen Genozid im Donbas verübt. Ukrainer*innen werden entmenschlicht und der Ukraine ihre eigene Staatlichkeit abgesprochen.

Das Feindbild des "Westens" kreist um die Kernbehauptung, der "kollektive Westen", namentlich die NATO mit den USA als Hauptakteur, wolle nichts anderes als Russland schaden. Die Ukraine wird lediglich als eine Marionette des Westens dargestellt. Angeknüpft wird hier an das Denken des Kalten Krieges und das kollektive Trauma des Untergangs der Sowjetunion.

Zuspruch in Ostdeutschland

Die Propaganda ist durchaus anschlussfähig in Deutschland, zeigen aktuelle Zahlen. Bemerkenswert ist dabei die große Diskrepanz zwischen West- und Ostdeutschland: So stimmen 24 % der Ostdeutschen der Aussage voll zu, die Ukraine habe historisch betrachtet keinen eigenen Gebietsanspruch und sei eigentlich ein Teil Russlands. Im Westen sagen dies nur halb so viele (12 %).

33 % der Befragten in Ostdeutschland - gegenüber 16 % im Westen - sind uneingeschränkt der Ansicht, die NATO habe Russland so lange provoziert, bis es zum Krieg kommen musste. Immerhin 27 % der Ostdeutschen sind zudem überzeugt, Putin gehe gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden ziehe. Die aktuelle Leipziger Autoritarismus Studie (2022), die fünf Einstellungstypen in Zeiten des Krieges identifiziert, zeigt ähnliche Tendenzen.

Bestehende Verschwörungserzählungen und antiamerikanistische Einstellungen lassen sich dabei bestens aufgreifen. Antiamerikanismus als Ideologie, die die USA als Verkörperung der westlichen Moderne, von Liberalismus und Kapitalismus und als Ursache sämtlicher globaler Probleme sieht, findet in Deutschland sowohl bei der extremen Rechten als auch bei Teilen der Friedensbewegung und der Linken Anklang. Ein enger Bezug besteht dabei zum Antisemitismus und antisemitischen Codierungen für die "US-Elite" (z. B. "Wallstreet") oder auch dem "Globalismus".

Im Querdenken-Milieu hat der Krieg die Corona-Pandemie zunehmend als Mobilisierungsthema verdrängt. Bestehende Erzählungen, wie die des "Great Reset" und Schuldzuweisungen gegenüber den USA, werden fortgeschrieben. Manche behaupten, der Krieg solle lediglich von der Pandemie "ablenken". Die Sanktionsfolgen rund um Inflation und Energieversorgung werden überdramatisiert, nach dem Credo: "Die Sanktionen schaden uns, nutzen aber den USA und den 'globalen Eliten'".

Was tun?

Was lässt sich tun, um Propaganda und Verschwörungsideologien den Nährboden zu entziehen? Die aktuelle Studie der Amadeu Antonio Stiftung gibt zahlreiche, an unterschiedliche Akteure gerichtete Handlungsempfehlungen.

Medien sollten z. B. einseitige Darstellungen vermeiden und mehr mehrsprachige Angebote machen, Schulen und Bildungsträger Antislawismus thematisieren und insbesondere die Präventionsarbeit stärken. Die Politik ist sowohl für eine konsequente Strafverfolgung gefragt als auch für Unterstützungsangebote für angefeindete Gruppen und eine umfassende Demokratiebildung.

Man müsse anerkennen, dass Menschen Angst haben und dass es legitim ist, verschiedene Meinungen zu haben, betont Benjamin Winkler, Projektleiter von Debunk (Amadeu Antonio Stiftung), das in Sachsen Präventionsangebote zu Antisemitismus und Verschwörungsideologien entwickelt. Komplexität - statt Schwarz-Weiß-Denken - müsse zugelassen werden. Wichtig aber sei eine gemeinsame Basis an Information und Werten. Wer lerne, gute Fragen zu stellen (s. Verschwörungschecker), dem gelinge dann oft auch selbst, das eigene Denken kritisch zu hinterfragen und Verschwörung und Desinformation zu entlarven.



Die Freudenberg Stiftung hat die Amadeu Antonio Stiftung 1998 mit gegründet und fördert sie seither institutionell und projektbezogen.