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03. März

"Gott hat mit mir etwas vorgehabt": Ein Abend für Zilli Schmidt

"Gott hat mit mir etwas vorgehabt", sagte Zilli Schmidt. Die Sintizza überlebte das Konzentrationslager Auschwitz, ihre kleine Tochter und fast ihre ganze Familie wurden dort ermordet. Als eine der letzten Zeitzeug*innen verstarb Zilli Schmidt im
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03.03.2023

"Gott hat mit mir etwas vorgehabt": Ein Abend für Zilli Schmidt

"Gott hat mit mir etwas vorgehabt", sagte Zilli Schmidt. Die Sintizza überlebte das Konzentrationslager Auschwitz, ihre kleine Tochter und fast ihre ganze Familie wurden dort ermordet. Als eine der letzten Zeitzeug*innen verstarb Zilli Schmidt im vergangenen Oktober hochbetagt in Mannheim. Zu ihrem Gedenken veranstaltete der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Förderverein der Stadtteilbibliothek Herzogenried am 03.03.2023 eine Lesung mit Filmvorführung.
Foto: Lyazat Hasselmann
"Die bringen nur die Verbrecher weg", dachte Zilli Schmidts Vater noch lange. Er sollte sich irren. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wird er, mit Zillis vierjähriger Tochter Gretel, ihrer Mutter, Schwester und deren sieben Kinder bei der Auflösung des sogenannten "Zigeunerlagers" in Auschwitz vergast. Am selben Tag wurde Zilli Schmidt auf einen Transport ins KZ Ravensbrück geschickt. Sie wollte raus aus dem Zug, bei ihrer Tochter und Familie bleiben, doch eine Ohrfeige Mengeles hielt sie zurück. "Er hat mir das Leben gerettet, aber mir damit keinen Gefallen getan", sagt Zilli Schmidt.

In einer berührenden Veranstaltung in der Stadtteilbibliothek Mannheim-Herzogenried lasen Verena Lehmann, Julischka Lehmann und Alisa Hasselmann aus den Erinnerungen von Zilli Schmidt, die erst zwei Jahre vor ihrem Tod erschienen sind. Gezeigt wurde auch der von RomaTrial und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas produzierte Kurzfilm (2020) über die Verfolgung und Ermordung ihrer Familie.

Das Publikum wurde mitgenommen auf eine Reise durch Zillis Leben, das so behütet und sorglos begann. Eine glückliche Familie, die ein Wanderkino betreibt. Im Winter ist der Vater ein gern gesehener Zitherspieler in den Wirtshäusern, die Mutter verdient als Hausiererin mit edler Spitze hinzu. Als ihre Tochter Gretel geboren wird, ist Zilli gerade sechzehn Jahre alt. Ein paar Jahre ging es noch gut, als Hitler an die Macht kam, aber ab 1939 wurde es immer schlimmer. Sinti*zze und Rom*nja waren "Freiwild", schildert Zilli Schmidt. Verhaftet wurde die Familie dann 1942 in Metz, rund ein Jahr später folgte die Deportation nach Auschwitz.

"Gott hat mit mir etwas vorgehabt", davon war Zilli Schmidt überzeugt. Wie könnte es sonst sein, dass sie die Hölle von Auschwitz überlebte, zweimal von Vergasungslisten gestrichen wurde, eine ihr gegoltene Kugel eines SS-Wachmanns sie knapp verfehlte, es ihr im Lager gelang "zu stehlen wie ein Rabe", um ihrer Familie etwas zu essen zuzustecken?

"Ich komme nicht darüber hinweg"

Wie lebt man ein Leben, wenn einem alles genommen wurde? "Ich komme nicht darüber hinweg", sagt Zilli Schmidt. In den Nächten träumt sie oft: "Dann bin ich wieder in Auschwitz". Ihre Gedanken kreisen um den letzten Gang ihrer Eltern, ihrer kleinen Tochter. Seit ihr Mann verstorben ist, ihr Halt, ist es schlimmer geworden, sie hat mehr Zeit, an früher zurückzudenken. Kurz nach dem Krieg war das Verdrängen einfacher. Sie habe ihr Leben auch genossen, erzählt Zilli Schmidt, sei ausgegangen, habe Reisen mit Freundinnen unternommen. Kinder aber hatte sie nie wieder. Als sie vom Tod ihrer kleinen Tochter erfahren hatte, bat sie Gott, ihr nie wieder Kinder zu schenken.

Erst im hohen Alter begann Zilli Schmidt, über ihr Leben zu sprechen. "Es hat aber auch keiner gefragt". Dass nicht vergessen wird, was den Sinti*zze und Rom*nja angetan wurde, war fortan ihr Auftrag. "Ich erzähle meine Geschichte, bis ich meine Augen zumache".

Das hat sie getan. 2021 wurde sie für ihr Engagement als Zeitzeugin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Noch im selben Jahr sprach sie anlässlich des Gedenktags am 2. August am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin. Am 21. Oktober 2022 verstarb Zilli Schmidt im Alter von 98 Jahren in Mannheim.



Die Freudenberg Stiftung engagiert sich seit ihrer Gründung 1984 gegen Antiziganismus und für die Rechte und das Empowerment von Sinti*zze und Rom*nja. Sie arbeitet heute bundesweit mit einer Vielzahl von Selbstorganisationen zusammen. Gemeinsam mit der Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas und der Kulturstiftung des Bundes förderte die Freudenberg Stiftung ein interaktives digitales 3D-Zeugnis von Zilli Schmidt im Rahmen des Projekts LEDIZ der LMU München.