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12 Januar

CIVIS Medienkonferenz: Das neue deutsche Wir. German Angst

“Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist bedroht. Scheitert der Diskurs, scheitert das Projekt, ist der gesellschaftliche Frieden bedroht. Nicht weniger steht auf dem Spiel und Sie alle sind gefordert, sich zu positionieren.” Mit diesen Worten
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12/01/2017

CIVIS Medienkonferenz: Das neue deutsche Wir. German Angst

“Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist bedroht. Scheitert der Diskurs, scheitert das Projekt, ist der gesellschaftliche Frieden bedroht. Nicht weniger steht auf dem Spiel und Sie alle sind gefordert, sich zu positionieren.” Mit diesen Worten eröffnete Michael Radix, Geschäftsführer der CIVIS Medienstiftung, die diesjährige CIVIS Medienkonferenz “Das neue deutsche Wir. German Angst”.
Isabel Schayani im Gespräch mit Prof. Dr. Heinz Bude, Prof. Dr. Naika Foroutan und Prof. Dr. Andreas Zick (v.l.n.r.) (Foto: CIVIS/Oliver Ziebe)
Erneut kamen in Berlin Vertreter*innen aus Medien und Wissenschaft zusammen, um aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen und die Rolle der Medien zu diskutieren.

Zunehmend sei eine diffuse Angst festzustellen, so Radix weiter. Zunehmend fühlen sich Menschen verunsichert und bedroht: durch die Globalisierung, die Digitalisierung, die Industrie 4.0 und konkreter durch politisch oder religiös motivierte Gewalt. Prof. Dr. Heinz Bude zitierend und zustimmend stellte Radix fest: Medien befördern diese ängstliche Stimmung.

Medien und Wissenschaft stecken in einer Kommunikationsfalle

“Wir befinden uns in einer Kommunikationsfalle”, so Heinz Bude, Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Die Daten seien eindeutig: die individuelle Perspektive der Menschen auf ihre aktuelle Lebenslage sei gut. Sie blicken positiv auf das Jahr 2017. Ihr Blick auf die globalere Situation jedoch sei von Sorge und Angst gekennzeichnet. Die Kommunikationsfalle bestehe darin, dass Wissenschaft und Medien auf die individuell positive Situation nicht verweisen können, ohne dabei die Angst vor der Verschlechterung der allgemeinen Situation zu delegitimieren.

Und gibt es nicht auch einen Grund, sich zu sorgen? Ist doch die Basis-Message der Medien, dass wir uns in einer Welt prekärer Berufsperspektiven und verschärfter sozialer Ungleichheit bewegen. Weltweit, so Bude weiter, sei die Ungleichheit in den letzten 20 Jahren dramatisch zurückgegangen.

Doch in dem Maße, in dem sich die Ungleichheit zwischen entwickelten Ländern und weniger entwickelten Ländern verringert hat, nimmt sie innerhalb der OECD-Länder zu. Steigende Ungleichheit innerhalb der OECD-Länder führe, so Bude, zu einem steigenden Bedarf an Solidarität.

Dieser Bedarf wird aktuell in Europa allerdings von rechten Bewegungen besetzt, die nicht Solidarität, sondern Ideen einer rassistisch verstanden Vergemeinschaftung verkörpern.

Wie sieht eine Zukunft aus, an der wir uns heute orientieren können? Wie gehen wir mit Konflikten um? In den letzten 20 Jahren haben wir, laut Bude, verlernt, wie ein gelingender Umgang mit Konflikten aussehen kann. Es gehe darum, eine Grammatik des Aushandelns von Unterschieden und Konflikten (wieder) zu erlernen.

Vielfalt kohärentes Merkmal deutscher Geschichte

In der Aushandlung eines neuen “deutschen Wir” sei es, so Prof. Dr. Naika Foroutan, stellvertretende Direktorin des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung, und Prof. Dr. Andreas Zick, Direktor des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, entscheidend auf Vielfalt als kohärentes Merkmal deutscher Geschichte und Identität zu verweisen. Zudem müsse deutlich gemacht werden, was einer/einem jeden Migrationsforscher*in im Sprechen über Integration stets bewusst ist: Integrationsprozesse brauchen Zeit. Migrationsforscher*innen denken in Zeitabständen von mindestens zehn Jahren.

Mandat und Ziel der Medien ist Aufklärung

Damit Medien diese Prozesse angemessen begleiten und zu einer Grammatik des Aushandelns beitragen können, sollten sie sich auf eines zurückbesinnen: Sie sind Kinder der Aufklärung, wie der Publizist und Medienmanager Roger de Weck betont. “Die Medienwelt ist verunsichert, weil ihr Geschäftsmodell nicht mehr stimmt.” Werbung wandere ab, Stellenreduktion führe zu einem Verlust an Kompetenz in den Redaktionen und Medien stehen unter dem Druck, ihr Angebot noch kommerzieller zu gestalten. Das Ergebnis: eine zunehmende Boulevardisierung.

Personalisierung, Emotionalisierung, Vereinfachung, Show statt Substanz jedoch sind nicht nur Stilmittel des Boulevards – sondern auch die des Populismus. Aufklärung aber müsse, so de Weck, das Mandat und Ziel der Medien bleiben, “damit die Demokratie nicht zu einer leeren Hülle wird.”

Der vorliegende Artikel ist ein Bericht der Freudenberg Stiftung. Alle Redebeiträge als Video finden sich HIER.

Gemeinsam mit der ARD, vertreten durch den WDR, hat die Freudenberg Stiftung die CIVIS Medienstiftung gegründet. Seit 1987 zeichnet die CIVIS Medienstiftung jährlich herausragende Programmbeiträge aus, die für die Themen kulturelle Vielfalt und Bekämpfung von Diskriminierung sensibilisieren. Noch bis zum 23. Januar 2017 können Beiträge eingereicht werden.