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07 Juli

Premiere des Theaterstücks „Rechts: ex und pop – oder Eine Proklamation für die Demokratie“

„Wenn sich die Kulturen vermischen, dann knallt’s“, weiß der schneidige junge Mann „ohne Migrationshintergrund“, der im Assessment-Center der Rechtspopulisten überzeugen
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07/07/2017

Premiere des Theaterstücks „Rechts: ex und pop – oder Eine Proklamation für die Demokratie“

„Wenn sich die Kulturen vermischen, dann knallt’s“, weiß der schneidige junge Mann „ohne Migrationshintergrund“, der im Assessment-Center der Rechtspopulisten überzeugen will.
Im Wettbewerb der Verschwörungsideologien wird der Aluhut vergeben. (Foto: Gunnar Fuchs)
Denn schließlich hat „der Syrer sein Syrien noch im Gepäck“. Seine Mitstreiter*innen, allesamt verschieden und doch so normal wie der Nachbar von nebenan, stehen ihm in nichts zurück und wehren sich ähnlich vehement gegen die „Denk- und Sprechverbote der Etablierten“. Wer will schon eine übergriffige EU, die den Bürgerinnen und Bürgern noch die allerletzte Entscheidung aus der Hand nimmt und sogar Topflappen normiert? Und dass Gender-Mainstreaming die Familie, die „Keimzelle der Gesellschaft“, aufzulösen im Gang ist, scheint plötzlich so einleuchtend wie ein Naturgesetz.

Wie funktioniert Rechtspopulismus?

Mit dem Theaterstück „Rechts: ex und pop – oder Eine Proklamation für die Demokratie“ macht das COMMUNITYartCENTERmannheim (CaCm) unter der Leitung von Annette Dorothea Weber ein starkes Statement für eine offene und pluralistische Gesellschaft. Ganz gezielt wurde für die Premiere der Große Ratssaal des Weinheimer Rathauses, ein Ort der parlamentarischen Demokratie, gewählt. Das Stück zeigt, mit welchen Wirkweisen die Ideologie des Rechtspopulismus in der Gesellschaft anzudocken versucht, entlarvt seine Narrative aber nicht weniger schonungslos als stichhaltig und schlägt rechtspopulistisches Gedankengut so mit seinen eigenen Waffen.

Wie immer in seinen künstlerischen Produktionen geht es dem CaCm darum, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, indem es mit dem Publikum in Dialog tritt und Argumentationshilfen mit auf den Weg gibt. Dieses Anliegen wird durch das Bild des „Assessment-Centers“ clever gelöst: Den Redeergüssen und Hasstiraden der Bewerber*innen folgt die Bewertung aus dem Off und für eine überzeugend „antiliberale Haltung“, „geschwätzige Erklärungen“, „perfekte Opfer-Außenseiter-Inszenierungen“ oder wunderbar „vereinfachte Erklärungen“ werden Höchstpunktzahlen erteilt.

Im Zuge ihres Auswahlverfahrens durchlaufen die Bewerber*innen mehrere Runden: Sie müssen ihre Kenntnisse über antisemitische Verschwörungsideologien ebenso unter Beweis stellen wie die über ihr eigenes intellektuelles Erbe. So erfährt auch das Publikum nicht nur die Hintergründe skurril anmutender Verschwörungskonzepte wie die „BRD-GmbH“ oder die „Klimawandellüge“, sondern auch zu rechten Vordenkern wie Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Armin Mohler. Auf diese Weise wird das Theater seinem aufklärerischen Anspruch gerecht und meistert die Gratwanderung, mit originaler rechtspopulistischer Rhetorik zu arbeiten, sie jedoch nicht unkommentiert im Raum stehen zu lassen.

„Wir müssen Menschen bleiben“

Das letzte Wort erhalten jedoch nicht die Populist*innen, sondern der Philosoph Karl Popper mit seinem Plädoyer für die „offene Gesellschaft“: Wir müssen uns mutig dem Ungewissen stellen, unsere Freiheit, nicht nur unsere Sicherheit verteidigen und alles dafür tun, damit ein respektvolles und friedliches Miteinander Wirklichkeit wird. Auf diesen zuversichtlichen Aufruf durften Schauspieler*innen, Veranstalter und Publikum anschließend im „Popper-Cafe“ bei „brauner Plörre“ und „süßer Vielfalt“ und anderen originellen Schmankerln auf dem Rathausbalkon bei wunderschöner Sommerabendstimmung gemeinsam anstoßen.

Mut und großes Können

Der Regisseurin Annette Dorothea Weber ist ein präzise ausgearbeitetes, sehr überzeugendes Gesamtkunstwerk mit eigener Stückfassung gelungen, das den Schauspieler*innen Caroline Betz, Folkert Drücker, Monika-Margret Steger und Mathias Wendel einen ständigen Wechsel zwischen rechtsextremer Figur, marschierender oder demonstrierender Figuration, literarisch-philosophischem Chor und künstlerischem Ensemble mit eigenen Standpunkten und Beziehungen zueinander vorgibt.

Die Schauspieler*innen bewegen sich punktgenau und mit großer Spielfreude brillant in ihren verschiedenen Rollen und ausgeliehenen Biografiefragmenten rechter Schlüsselpersonen. Trotz der aufgezeigten Gefahren entstehen durch Überzeichnung, Witz, choreographische Sequenzen, eigens von Mike Rausch komponierter Musik und von Rio Reiser geliehenen Liedern immer wieder Distanz und Zwischenräume zum Lachen, Nachdenken, Gruseln oder Hoffnung spüren. Ein mutiges Stück, eine einzigartige Gesamtleistung der Künstler*innengruppe unter Mitwirkung der erfahrenen Dramaturgin Birgit Thomas.

Zusammen mit der Stadt Mannheim, der Heinrich-Vetter-Stiftung, der BT Spickschen Stiftung und den Open Society Foundations unterstützt die Freudenberg Stiftung das 2012 gegründete COMMUNITYartCENTERmannheim.

Weitere Informationen zum Theaterstück und zum CaCm sind zu finden unter: COMMUNITYartCENTERmannheim

Weitere Zeitungsartikel zur Premiere sind erschienen in den Weinheimer Nachrichten und in der Rhein-Neckar-Zeitung.