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03 Juli

Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: Drittes Praxis- und Dialogforum

Obwohl geflüchtete Kinder und Jugendliche laut UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Bildung und auf Nichtdiskriminierung haben, warten sie in vielen Bundesländern oft
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03/07/2017

Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: Drittes Praxis- und Dialogforum

Obwohl geflüchtete Kinder und Jugendliche laut UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Bildung und auf Nichtdiskriminierung haben, warten sie in vielen Bundesländern oft monatelang auf einen Schulplatz, ganz zu schweigen von einer auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenen Förderung. Von einer „Kindheit im Wartezustand“ spricht Unicef in einer aktuellen Studie zur Situation von Kindern und Jugendlichen in deutschen Flüchtlingsunterkünften.
Auch der informelle Austausch kam nicht zu kurz. (Foto: Andreas Henn)
Zum dritten Mal trafen sich im Juli Vertreter*innen der Pilotprojekte, die im Rahmen der Initiative „Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: JETZT!“ der Freudenberg Stiftung ins Leben gerufen wurden. Das Praxis- und Dialogforum in Berlin diente dem Austausch und der Vernetzung der Praxisakteur*innen, der gemeinsamen Reflexion über best practices und Problemstellungen, aber insbesondere auch über Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Verstetigung der Projekte. Mittlerweile 18 Projekte leisten bundesweit auf lokaler Ebene einen Beitrag dazu, das Recht von geflüchteten Kindern und Jugendlichen auf Bildung in die Realität umzusetzen. Die Freudenberg Stiftung reagierte Anfang 2015 mit dieser Initiative auf die hohe Dringlichkeit, die dieses Thema durch den großen Zugzug an Geflüchteten erhalten hatte.

Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung nicht scheitern lassen

Diese neuen Projekte sollten jedoch nicht in luftleerem Raum entstehen, sondern an bereits bestehende Kooperationsstrukturen wie zum Beispiel Ein Quadratkilometer Bildung, der Verbund sozial-kultureller Migrantenvereine DO e. V. (VMDO) oder die Weinheimer Bildungskette angedockt werden. So unterschiedlich wie die einzelnen örtlichen Kontexte sind, so verschieden sind auch die Projekte, die auf die jeweiligen spezifischen Bedarfe antworten. In Wuppertal bietet zum Beispiel eine „Willkommensgruppe“ Kindern mit Fluchterfahrung eine unterrichtsergänzende und außerschulische Förderung, in Herten liegt ein Fokus auf einer gelingenden Elternbeteiligung durch familiensprachliche Laienhelfer*innen. In Dortmund erleichtern peer-to-peer-Paten bei musischen, handwerklichen oder sportlichen Aktivitäten das Einleben in der neuen Umgebung, in Mannheim werden junge Geflüchtete bei der Suche nach Praktika und Ausbildungsplätzen unterstützt. In Berlin lernen die neu zugezogenen Mütter und Väter selbst, indem sie im Rahmen des Programms „Rucksack“ unbürokratisch und kostenfrei Deutschunterricht von bereits länger in Deutschland lebenden Migrant*innen erhalten.
Gemeinsam ist den Projekten jedoch das Ziel, den Kindern und Jugendlichen das Ankommen im Bildungssystem zu erleichtern. Alle basieren sie auf den Fragen: Woran können die Kinder und Jugendlichen mit Fluchterfahrung scheitern? Was passiert, wenn wir es schaffen, dieses Scheitern zu verhindern und was, wenn es uns nicht gelingt? In Arbeitsgruppen konnten sich die Teilnehmenden zu Themenbereichen austauschen, die trotz ihrer Verschiedenheit in allen Projekten zentral sind: Sprachbildung und Zusammenarbeit mit den Eltern, außerschulische-kulturelle Bildungsarbeit, Übergang zwischen Schule und Beruf sowie Lehrer*innenqualifizierung und Partizipation von Schüler*innen.

Wie gelingt das Ankommen im Bildungssystem?

So wurde viel Raum zur Reflexion und Diskussion geschaffen, der im Alltagsgeschäft der Projekte nicht aufgebracht werden kann. Wie kann eine wirkliche „Willkommenskultur“ entstehen und ist es überhaupt sinnvoll, von einer solchen zu sprechen? Eine bestimmte institutionelle Haltung, vermittelt unter anderem durch die Schulleitung, aber auch strukturelle Voraussetzungen sind für eine gelingende Inklusion geflüchteter Kinder und Jugendlicher notwendig, resümierten die Teilnehmer*innen einer Arbeitsgruppe. Sogenannte Willkommensklassen sollen kein Deckmantel für Formen der Ausgrenzung sein, sondern offene Unterstützungsstrukturen – oftmals ein Balanceakt aus der Perspektive der Projektbegleiter*innen.

Auch die Förderung durch außerschulische Angebote spielt in vielen der Projekte eine große Rolle. Der schulische und außerschulische Bereich, so die Erfahrung der Praxisakteur*innen, haben jeweils ihre eigenen Stärken und Schwächen, sind jedoch eng miteinander verzahnt: Ein Workshop zum Beispiel, der auf den ersten Blick nicht mit dem regulären Schulstoff in Verbindung steht, kann zu einem „Sprungbrett“ für die schulischen Leistungen des Kindes oder des Jugendlichen werden. Wie lässt sich jedoch damit umgehen, dass mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen auch ein anderes Bewusstsein für Freizeitaktivitäten einhergeht? Was bedeutet „kulturelle Bildung“ überhaupt und gehören Schwimmen und Fußball eigentlich dazu?
Letztlich bleibt es die Aufgabe der Projekte, flexible Angebote zu machen, immer mit dem Ziel, die Kinder und Jugendlichen dazu zu ermächtigen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Offen für Veränderungen zu sein und im Dialog mit den Zielgruppen zu bleiben, so waren sich die Teilnehmenden einig, sind dabei die besten Voraussetzungen für eine gelingende Projektarbeit.

Anfang 2015 rief die Freudenberg Stiftung gemeinsam mit dem Kinderrechtsexperten Professor Lothar Krappmann die INITIATIVE Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: JETZT! ins Leben. Mit Organisationen wie dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), der Weinheimer Initiative, der National Coalition und der Amadeu Antonio Stiftung setzen wir uns dafür ein, dass Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung ihr Recht auf Bildung verwirklichen können. Nach der 2-jährigen Pilotphase der Projekte wird ab 2018 die Modellphase auf der Grundlagen einer kriteriengestützten Überprüfung starten.