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19 Juli

Eröffnung der Lern-Praxis-Werkstatt

Junge Menschen mit Fluchterfahrung, denen das Regelsystem keine Ausbildungsmöglichkeiten bietet, auf ihrem individuellen Weg in den Beruf zu unterstützen, ist das Ziel der Lern-Praxis-Werkstatt. Das Gemeinschaftsprojekt des Rhein-Neckar-Kreises und
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19/07/2018

Eröffnung der Lern-Praxis-Werkstatt

Junge Menschen mit Fluchterfahrung, denen das Regelsystem keine Ausbildungsmöglichkeiten bietet, auf ihrem individuellen Weg in den Beruf zu unterstützen, ist das Ziel der Lern-Praxis-Werkstatt. Das Gemeinschaftsprojekt des Rhein-Neckar-Kreises und der Stadt Weinheim ging am 19. Juli 2018 mit einem festlichen Auftakt an den Start.
Dr. Rolf Hackenbroch, Bildungskoordinator für den nördlichen Rhein-Neckar-Kreis, und Ante Rašić (rechts), Projektleiter der Lern-Praxis-Werkstatt, stellen das Projekt vor der künftigen Betriebsstätte vor. (Foto: Freudenberg Stiftung)
Mit Schlüsselakteuren wie Integration Central und Job Central, die sich mit einem vielfältigen Angebot für gelingende Übergänge von der Kita bis zum Berufseinstieg einsetzen, ist Weinheim gut aufgestellt, um gleichberechtigte Bildungschancen – auch für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche – zu schaffen. Eine Gruppe junger Menschen fiel jedoch bislang auch in Weinheim, wie überall in der Bundesrepublik, durch das "Raster" schulischer und ausbildungsvorbereitender Strukturen: Geflüchtete, die volljährig und damit nicht mehr schulpflichtig sind und nicht aus den derzeit fünf Herkunftsländern mit guter Bleibeperspektive kommen. Vorhandene staatliche Brückenprogramme wie z. B. das sogenannte "Kümmerer-Programm" oder die Einstiegsqualifizierung (EQ) PLUS stehen ihnen nicht offen, die Aufnahme einer dualen Ausbildung ist aufgrund eines zu geringen Sprachniveaus und fehlender schulischer Grundkenntnisse wiederum oft noch nicht möglich.

Diese Lücke versucht nun die Lern-Praxis-Werkstatt nun für Weinheim und den nördliche Rhein-Neckar-Kreis zu schließen: Angesiedelt bei Job Central, wurde das Projekt auf gemeinsame Initiative der Stadt Weinheim und des Rhein-Neckar-Kreises seit 2016 entwickelt. Auf niedrigschwelliger Basis können sich die Teilnehmenden ab August 2018 in einer Werkshalle der Firma Naturin Kompetenzen in verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten, z. B. im Holz- und Metallbereich, aneignen und in realen, auch gemeinwohlorientierten Projekten einsetzen. So dürfen sich die Kinder des Kindergartens Waid in Weinheim bald auf eine renovierte Holzhütte und einen wieder voll funktionsfähigen Bauwagen freuen – voraussichtlich eines der ersten Projekte, das die Lern-Praxis-Werkstatt in Angriff nehmen wird. Dieser berufspraktische ist der zentrale, aber nur ein Teil des Projekts: Ganz wesentlich will die Lern-Praxis-Werkstatt auch auf dem hiesigen Arbeitsmarkt gefragte Soft Skills, Wissen über das deutsche Arbeitssystem, gesellschaftliches Know-how sowie berufsorientierte Deutschkenntnisse vermitteln.

Soziale, sprachliche und berufliche Inklusion gehen Hand in Hand: Diese Verzahnung ist Grundprinzip der Lern-Praxis-Werkstatt, das mit gemeinsamen Mittagspausen und Austausch mit hiesigen Azubis Gemeinschaftsbildung großschreibt, wie Ante Rašić, Projektleiter der Lern-Praxis-Werkstatt, betont. Die Miteinbeziehung zahlreicher Ehrenamtlicher ermöglichen zudem eine ganz individuelle Begleitung und Berufswegplanung, die auch über die Teilnahme an der Lern-Praxis-Werkstatt hinausgeht. So sollen gerade die Kompetenzen und Begabungen zu Tage kommen, gefördert und in arbeitsmarktrelevante Bahnen gelenkt werden, die die Geflüchteten in ihren Biografien bereits erworben haben, aber nicht durch ein hier anerkanntes Zeugnis zertifizieren können. Es geht also nicht nur um top-down vermitteltes Wissen, sondern um das gemeinsame Weiterentwickeln von vorhandenen Potenzialen. Auch junge Menschen mit mehrfachen Diskriminierungsmerkmalen können so individuell und ganzheitlich dabei unterstützt werden, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Auch wenn die menschlichen Katastrophen, die ein negativer Asylbescheid auslösen kann, nicht verharmlost werden dürfen: Fähigkeiten und Bildung kennen keine Grenzen, sind transnational einsetzbar und können in spezifische lokale Lebenswelten immer wieder neu übersetzt werden, sodass die Zukunftsperspektiven, die die Lern-Praxis-Werkstatt eröffnen will, nicht auf die "Einbahnstraße" eines musterhaften nationalen "Integrationsprozesses" ausgerichtet ist, sondern vielfältige Wege ebnen können. Die Lern-Praxis-Werkstatt versteht sich dabei selbst als Entwicklungsprojekt und wird nicht ein am Schreibtisch ausgearbeitetes Konzept starr verfolgen, sondern fortlaufend flexibel auf Schwachstellen, best practices, neue Ideen und Kooperationsmöglichkeiten reagieren.

Die große Unterstützung, die die Lern-Praxis-Werkstatt durch Kommune, Stiftungen, lokale Unternehmen, (berufliche) Schulen und andere zivilgesellschaftliche Akteure bereits erfährt, zeigte sich am illustren Kreis der Gäste, die gemeinsam, untermalt von den Gitarrenklängen des Musikers Ammar Al-Rashid und verwöhnt von internationalen Köstlichkeiten des Projekts Kochkultur, auf einen gelingenden Start der Lern-Praxis-Werkstatt anstießen.

Die Freudenberg Stiftung fördert die Lern-Praxis-Stiftung gemeinsam mit dem Rhein-Neckar-Kreis, der Mahle-Stiftung und der Volksbank Weinheim Stiftung und war zudem an ihrer Konzeption beteiligt. Die Firmen Naturin und Freudenberg unterstützen das Projekt mit Räumlichkeiten und Ausstattung. Bereits bei einem gemeinsam mit der Stadt Weinheim und dem Rhein-Neckar-Kreis ausgerichteten Fachtag im September 2017 stand die Verbesserung der Bildungs- und Berufswege junger volljähriger Geflüchteter im Fokus.