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25 September

Praxis- und Dialogforum: Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: JETZT!

Nachdem dreizehn Projekte der Initiative Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: JETZT! 2018 in die Modellphase übergegangen sind und die
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25/09/2018

Praxis- und Dialogforum: Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: JETZT!

Nachdem dreizehn Projekte der Initiative Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung: JETZT! 2018 in die Modellphase übergegangen sind und die Goethe-Universität Frankfurt seit gut einem Jahr deren wissenschaftliche Begleitung übernommen hat, lud die Freudenberg Stiftung die Projektpartner*innen im September 2018 zum vierten Praxis- und Dialogforum nach Weinheim.
Foto: Freudenberg Stiftung
Rund drei Jahre nach Start der Initiative sind zum Teil tiefgreifende Veränderungen an den Standorten spürbar: So prägt der gesellschaftliche "Rechtsruck" bei einem gleichzeitig abnehmenden Interesse für die Belange von Geflüchteten die Projektarbeit, gleichzeitig berichten die Praxispartner*innen von Erfolgen, gewachsenen Netzwerken und einer größeren Routine im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung. Neben einem Austausch unter den Projektvertreter*innen mit ihren oft ähnlichen Herausforderungen und Fragen war es Ziel des Praxis- und Dialogforums, eine erste Zwischenbilanz der wissenschaftlichen Begleitung zu ziehen. Diese will nicht "evaluieren", sondern in beide Richtungen Denkanstöße ermöglichen und reale Problemstellungen aus den Projekten zum Thema machen, erklären Dr. Anne Seifert und Annika Schelling von der Goethe-Universität Frankfurt ihr Verständnis eines fruchtbaren Wissenschaft-Praxis-Dialogs.

Veränderungen in Bildungssystem und Schulen anstoßen: Die "Quadratur des Kreises"?

Orientierungswissen für den Umgang mit spezifischen Bedarfslagen zu generieren und langfristig einen Beitrag zu einem fluchtsensiblen Bildungssystem zu leisten, ist übergeordnetes Anliegen der Initiative Bildungsrecht für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung. Dabei sind die Praxisbegleiter*innen jedoch in ihrem Alltag permanent mit den "Paradoxien pädagogischen Handelns" (Helsper 2016) konfrontiert – mit gegensätzlichen Prinzipien und Anforderungen des Bildungssystems, die sich einerseits wechselseitig behindern und andererseits ihre jeweilige Berechtigung haben: Behördliche Regelungen wie Noten, Zeitstrukturen und andere Standards erschweren oft eine auf das Individuum ausgerichtete, kontextbezogene Flexibilität, helfen aber zur Herstellung von Handlungssicherheit und Vermeidung von Willkür; in der persönlichen Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen müssen Lehrer*innen zwischen "gleich-gültiger" Distanz und affektiver Nähe balancieren.

Trotz lokal sehr heterogener Bedarfslagen ist es dabei Konsens des Modellprogramms, Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung zu unterstützen ohne Sonderstrukturen zu schaffen, um in den Schulen nachhaltige institutionelle Veränderungsprozesse hin zu einer inklusiven und diversitätsorientierten Kultur anzustoßen. Hierbei muss jedoch nicht selten gegen Widerstände seitens der Schulleitungen oder Lehrkräfte angekämpft werden. Der Einstieg, so berichten die Projektpartner*innen, kann oftmals über einzelne Programme oder ein gegenseitiges "Nehmen und Geben" gelingen – bis sich aus dem "Programm" eine institutionelle "Haltung" entwickelt, ist jedoch ein weiter Weg.
Barbara Brokamp als erfahrene Expertin für inklusive Schulentwicklung schärfte in ihrem Input mithilfe organisationssoziologischer Erklärungsmodelle das Verständnis dafür, warum Veränderungsprozesse in Organisationen oft so schwerfällig sind und es sich dennoch lohnt, sich auch mit kleinen Schritten für eine diversitätsorientierte Organisationskultur und -struktur einzusetzen: Ein System suche stets seine Balance und agiere wie ein Mobile, wird also auch von der kleinsten Veränderung als Ganzes getroffen. Bewirken bewährte Handlungsmuster nicht mehr das erwartete Ergebnis, erhöhen Menschen in der Regel ihre Anstrengung, halten aber zunächst am herkömmlichen Lösungsmuster fest ("Funktionsoptimierung"), bevor sie zu einem Prozessmusterwechsel, also veränderten kognitiven Schema, bereit sind. Genau diese Phase ist dann, nach Kruse und v. Haken, von einer "kritischen Instabilität" gezeichnet. Somit sei es organisationslogisch ganz "normal", dass Veränderungsdruck, wie etwa durch eine große Anzahl von Schüler*innen mit geringen Deutschkenntnissen und heterogenen Bildungsbiografien, zunächst Widerstand und Verunsicherung auslöst. Diversität jedoch "lohnt" sich, wie Brokamp hervorhebt: Nur diverse Systeme nämlich sind strukturell elastisch genug, um unvorhergesehene Einwirkungen, die "die einzige Konstante in jedem Prozess sind", auszugleichen und damit den Erhalt des Gesamtsystems zu gewährleisten. Wichtig im Prozess der Schulentwicklung ist dabei Rollenklarheit: Eine externe Begleitung bedeutet niemals, dass die Verantwortung für die Veränderung eines Systems nach außen abgegeben wird oder externe Prozessbegleiter*innen stellvertretend für die Organisation Lösungen entwickeln; sie können lediglich dabei unterstützen, einen "tragfähigen Rahmen" für die Veränderungsprozesse herzustellen.

Gelingende Zusammenarbeit mit Eltern durch Gewaltfreie Kommunikation

Während zu Projektbeginn vielerorts ein starker Fokus auf die Kinder und Jugendlichen selbst gesetzt wurde, hat sich im Laufe der Zeit das Bewusstsein dafür geschärft, dass für eine gelingende Unterstützung die ganze Familie mit einbezogen werden muss. Dabei gilt es, einen Weg zwischen reiner Informationsvermittlung und Alltagsbegleitung zu finden, um mangelnde Sprachkenntnisse und fehlendes Wissen über das deutsche Bildungssystem der Eltern zu überbrücken und ihr oft "fragiles Vertrauen" in Pädagog*innen und Schule nicht aufs Spiel zu setzen.

Ein möglicher Ansatz, um mit standortübergreifenden Herausforderungen in der Kommunikation mit den Eltern umzugehen, ist der der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg, in das die Dozentin und Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation Erika Roth-Höller die Teilnehmenden mithilfe vieler praktischer Übungen einführte. Das Konzept des US-Amerikaners Rosenberg, der in den frühen sechziger Jahre Mediations- und Trainingsprogramme für Bürgerrechtler*innen entwickelt hatte, um Rassentrennung im öffentlichen Leben zu überwinden, wird seit den 1980er Jahren weltweit – von der Schule bis in Krisengebieten – eingesetzt.

Eine der wesentlichen Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation ist, dass alle Menschen die gleichen physischen und psychischen Bedürfnisse haben und uns unsere Gefühle, die wir empfinden, Aufschluss über den "Erfüllungsstand" dieser Bedürfnisse geben. All unser Handeln ist darauf ausgerichtet, unsere Bedürfnisse zu stillen, unsere Strategien sind dabei jedoch ganz unterschiedlich: So legitimiert das universelle Bedürfnis nach "Sicherheit" z. B. nicht, Menschen anderer Herkunft auszugrenzen, um das eigene Sicherheitsgefühl wiederherzustellen. Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation geht davon aus, dass nur wer seine eigenen Bedürfnisse kennt und ihnen gerecht wird, auch die seiner Mitmenschen wahrnehmen und Verbindungen zu ihnen aufbauen kann. Dafür kennt die Gewaltfreie Kommunikation unterschiedliche Strategien, insbesondere das "stille präsente Hinhören", das dem Gegenüber die Gelegenheit gibt, seinen Gedanken den notwendigen Raum zu lassen. Als Bild unterscheidet die Gewaltfreie Kommunikation die "Giraffen" – die Tiere mit dem größten Herzen und dem besten Überblick – von den "Wölfen", die ihre starren Hierarchien oftmals mit Gewalt verteidigen. Wer gewaltfrei kommuniziert, ist sich bewusst, dass eine Person immer nur über sich selbst sprechen und es viele mögliche Perspektiven auf ein und dieselbe Situation geben kann: Aus diesem Grund verallgemeinert die "Giraffe" ihre eigenen Bedürfnisse und Sichtweisen nicht in einem "man" sondern spricht explizit von sich selbst und vermeidet ein ausschließendes "ja, aber" anstelle eines konsensorientierten "und gleichzeitig". Elementar ist dabei, die eigenen Beobachtungen und Bewertungen durch ein innerliches "Stopp-Moment" voneinander zu trennen: Dies bedeutet nicht, dass wir versuchen sollten, Bewertungen zu unterdrücken – aber wir müssen sie uns als solche bewusst machen und in eigene Bedürfnisse übersetzen.

Gerade in der Kommunikation mit Eltern mit Fluchterfahrung, die oft wenig vertraut mit dem deutschen Bildungssystem und von kulturell divergierenden Rollenvorstellungen geprägt sind, kann die Verinnerlichung dieser Grundprinzipien der Gewaltfreien Kommunikation helfen, bestimmte Verhaltensweisen nicht vor dem Hintergrund eigener Bedürfnisse zu bewerten, sondern die dahinterstehenden Bedürfnisse der Eltern zu verstehen. Zum Beispiel berichteten die Projektpartner*innen von Eltern, die den Besuch einer Förderklasse als Bedrohung für die Zukunft ihres Kindes empfanden, oder dass Eltern aufgrund anderer ihnen bekannten Schulnormen wenig Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigten.

Die Rückmeldungsrunde zum Abschluss des Praxis- und Dialogforums bestätigte, wie wertvoll die im Alltag oft seltene Möglichkeit zum Austausch mit Kolleg*innen aus ähnlichen Arbeitskontexten und die Gelegenheit, tiefer und "freier" in manche Problemstellungen einzusteigen, von den Teilnehmenden empfunden wurde. Überflüssig, so eine Beobachtung aus dem Teilnehmerkreis, werden sich die Projekte in absehbarer Zeit nicht machen, da gerade auch das ideale Szenario – ein konsequentes Integrieren der inklusiven Ansätze in den Schulalltag – genau das Mehr an Ressourcen erfordert, mit dem die Partner*innen derzeit Lücken im staatlichen System ausgleichen.

Angesichts der Bedeutung von nicht polarisierender, verständigungsorientierter Kommunikation wird die Freudenberg Stiftung für die Projektverantwortlichen in ihrem Netzwerk im kommenden Jahr weitere Fortbildungen zum Thema Gewaltfreie Kommunikation anbieten.