Hohenheimer Tage zum Migrationsrecht: Bewährungsprobe für die Menschenrechte
Vom 25. bis 27. Januar 2019 fanden die diesjährigen Hohenheimer Tage statt, bei denen sich Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen mit Fragen der Migration unter
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25/01/2019
Hohenheimer Tage zum Migrationsrecht: Bewährungsprobe für die Menschenrechte
Vom 25. bis 27. Januar 2019 fanden die diesjährigen Hohenheimer Tage statt, bei denen sich Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen mit Fragen der Migration unter rechtlicher Perspektive auseinandersetzen. Die gemeinsame Tagung des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart, des Diakonischen Werks Württemberg und des DGB-Bezirks Baden-Württemberg überprüft die menschenrechtlichen Gesichtspunkte aktueller Politik und sucht nach Möglichkeiten ihrer Stärkung. Aufgrund der thematischen Nähe zu ihren Handlungsfeldern nutzte auch die Freudenberg Stiftung das Forum, um neue Perspektiven und Wissen zu gewinnen und in Austausch mit relevanten Akteur*innen zu kommen.
Das europäische und deutsche Asyl- und Migrationsrecht steht aktuell vor einer entscheidenden Weichenstellung: Der Europäische Rat prüft derzeit sieben Legislativvorschläge, mit denen das EU-Asylrecht verbessert werden soll. Damit könnten Zustände beendet werden, dass nach einer Seenotrettung die Verteilung der Schutzbedürftigen per "Mobiltelefon-Management" geschieht und Nationalist*innen vom anhaltenden Nicht-Fortschritt der EU-Asylverhandlungen profitieren, so Florian Geyer von der Europäischen Kommission. In der Bundesrepublik wurde im Dezember 2018 der Entwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen, das eine reguläre Einwanderung künftig nicht mehr allein Hochschulabsolvent*innen oder Fachkräften für sogenannte "Engpassberufe" vorbehält. Aber dieser Gesetzesentwurf ist in den Fraktionen nach wie vor umstritten: Die Voraussetzungen für eine Einreise zwecks Suche eines Ausbildungsplatzes zum Beispiel seien nahezu unerfüllbar, so Dr. Eva Högl (SPD): So darf der oder die Bewerber*in das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, muss aber gleichzeitig über einen Abschluss einer deutschen Auslandsschule verfügen sowie einen gesicherten Lebensunterhalt und deutsche Sprachkenntnisse auf Niveau B2 vorweisen (vgl. §17, Art. 1). Ein Streitpunkt unter den Parteien bleibt auch der sogenannte "Spurwechsel", gegen den sich die Union aus Furcht vor "Pull-Effekten" vehement wehrt, während SPD und Grüne darin eine Möglichkeit sehen, Geflüchteten eine Perspektive zu bieten und dem drängenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.Fluchtursachen bekämpfen?
Wenn auch gesetzlich zwei unterschiedliche Phänomene, verschwimmen die Kategorien "Flucht" und "Migration" im öffentlichen und politischen Diskurs zunehmend, betonten mehrere der Referent*innen. Mehr und mehr sei nur noch von "Migrant*innen" die Rede. Insbesondere rechtsgerichtete Politiker*innen sprechen so Geflüchteten die Legitimation ihrer Fluchtgründe ab, wie Prof. Dr. Nagy besonders drastisch für die Politik der Visegrád-Länder (V4) Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn zeigte. Migration und Flucht bedürfen aber verschiedener Ansätze (David Kipp) und Fluchtbewegungen sind, im Gegensatz zu Migration, nicht steuerbar, so Dominik Bartsch vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Die "Bekämpfung der Fluchtursachen" hat sich dabei als schwammiger Sammelbegriff etabliert, für den sich parteiübergreifend leicht Zustimmung finden lässt, über dessen tatsächliche Bedeutung in der Praxis aber große Unklarheit herrsche. "Fluchtursachenbekämpfung", so Dominik Bartsch, dürfe nicht zum "Ersatz" für legale Einwanderungsmöglichkeiten werden und erfordere eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Länderkontexte. Mancherorts ließe sich zwar durch eine bessere soziale Sicherung möglicherweise durchaus "Alternativen" zur Migration entwickeln, erläuterte Prof. Dr. Esther Schüring, die genauen Zusammenhänge seien aber noch nicht hinreichend wissenschaftlich untersucht.Wichtig sei vor allem, die Perspektive der Geflüchteten selbst stärker zu berücksichtigen (Dominik Bartsch). In vielen Fällen wollen diese selbst in ihre Herkunftsländer zurückkehren und oft treibe erst eine ausweglose Situation in den Erstaufnahmestaaten die Geflüchteten zu einer Flucht in Richtung Europa – so geschehen, als 2014 die UN wegen Geldmangels ihre Unterstützung für Geflüchtete in Syrien, Libanon und der Türkei drastisch reduzierte. Wesentlich an diesen finanziellen Engpass geknüpft war die fragwürdige Annahme, die geografisch am nächsten liegenden Staaten – und nicht die gesamte internationale Gemeinschaft – trage die Hauptlast der Verantwortung gegenüber den Schutzsuchenden. Es zeichne sich aber derzeit im globalen Diskurs eine Verschiebung ab, so Bartsch: Die nordafrikanischen Staaten etwa ließen sich nicht mehr länger mit einer Erhöhung der "Entwicklungshilfe" abspeisen, um die asylpolitischen Interessen Europas durchsetzen, sondern verlangten zunehmend Verhandlungen auf "Augenhöhe".Menschenrechte stärken durch Medien?
Unabhängig von der jeweiligen tatsächlichen Relevanz hat das Thema Migration und Flucht in allen Ländern der Europäischen Union derzeit höchste Priorität und Euro-Skeptizismus eine neue Qualität erreicht (Ulrich Weinbrenner, BMI). Dabei lässt sich eine zuvor ungekannte Verrohung des Diskurses auf der Ebene der politischen Elite beobachten (Prof. Dr. Thomas Niehr). Die Macht der redaktionellen Medien, um einen menschenrechtsorientierten Diskurs durchzusetzen, dürfe aber nicht überschätzt werden, zu groß sei die Rolle von Social Media und Internet, so die Journalistin Bettina Gaus (taz). Auch "Agenda-Setting" sei über Medien nur bedingt möglich, da Medien Themen zwar verstärken, nicht aber "setzen" könnten: Themen wie Migration, in die (vermeintlich) ohne Vorwissen eingestiegen werden kann, erzeugen grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit als andere. Auch sei die Forderung nach einer "Versachlichung" des Migrationsdiskurses schwerlich einzulösen, da Sprache niemals "objektiv" sein könne. Wohl aber sei es Aufgabe von Journalist*innen, bestimmte rechtspopulistische Medienstrategien nicht einfach blind zu übernehmen, etwa die Kriminalstatistik von Asylbewerber*innen und der Allgemeinbevölkerung mit schlichtweg unterschiedlichen Vergleichsgruppen miteinander in Bezug zu setzen. Ebenso sei ein verantwortungsvoller Umgang mit Schlagworten wie "Asylbewerber" und "Flüchtlingen" geboten, da bei diesen Kategorien im Gegensatz zu anderen stets auf die Gesamtgruppe geschlossen würde. Eine "Sprachpolizei" (Prof. Dr. Thomas Niehr) sei aber nicht die Lösung, und die "Heimatlosigkeit" der einfachen Menschen, die ohne "böse Absicht" Begriffe wie "Flüchtlinge" verwenden, dürfe nicht durch Belehrungen verstärkt werden (Gaus).Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft entgegenwirken
Deutschland habe ein spezielles Problem mit Rassismus, hob Prof. (emer.) Dr. Dorothee Frings hervor. Mitgrund hierfür sei, dass "Rassismus" im allgemeinen Diskurs, z. B. auch in Lexika wie Wikipedia, als "Ideologie" wahrgenommen werde anstatt als Praxis und Wirkung, die tief in Alltag und Strukturen eingebettet sind. Wenn Rassismus daher zugleich entdramatisiert und stärker bewusst gemacht würde – die "Banalität des Rassismus" (Mark Terkessidis) sichtbar werde – könnte erreicht werden, dass Rassismus nicht länger als die mutwillige Absicht Einzelner und der Vorwurf von Rassismus damit als Herabwürdigung empfunden würde. Diskriminierungen erlebten Geflüchtete allen voran auf dem Wohnungsmarkt, aber auch bei Ämtern und Behörden oder der Arbeit, zeigen die Auswertungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Kluft zwischen der Anzahl der Menschen, die angeben, Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben und derer, die sich dagegen in irgendeiner Weise zur Wehr setzen, ist allerdings eklatant: Rund 40 Prozent der Betroffen unternahmen nach eigenen Aussagen rein gar nichts gegen die erlebte Benachteiligung. Hier könne eine Rolle spielen, dass "Alltagsrassismus" für viele im wahrsten Sinne des Wortes derart "alltäglich" ist, dass sie ihn selbst gar nicht mehr für thematisierenswert halten. Auch die Bildungsteilhabe von geflüchteten Kindern und Jugendlichen lässt in Deutschland derzeit noch zu wünschen übrig, nach Prof. Marcus Emmerich ist eine "strukturelle Prekarisierung gesellschaftlicher Teilhabechancen neu migrierter Minderjähriger" zu beobachten. Hinsichtlich der Schulpflicht von geflüchteten Heranwachsenden herrschen zum Beispiel große Unterschiede zwischen den Bundesländern: Während in wenigen Ländern, darunter Hamburg, ab Einreichen des Asylantrags Schulpflicht besteht, gilt in einer Mehrzahl der Länder der – stark schwankende – Zeitpunkt der Zuweisung in eine Kommune; in Bayern besteht eine Drei-Monats-, in Baden-Württemberg gar eine Sechs-Monats-Frist. Was dann als "Schule" zur Verfügung gestellt wird, sei infrastrukturell und personell oft fragwürdig, so die GEW-Vertreter*innen Elina Stock und Monika Gessat. Zu den zentralen Forderungen der GEW gehören daher u. a. ein Recht auf Schule bis 27 und auch, dass die Änderung des Asylgesetzes von 2011, die Schulen explizit von der Meldepflicht von Schüler*innen ohne gültige Papiere entbindet, endlich stärker in der schulischen Praxis ankommt. Im Ringen um eine humane Asyl- und Migrationspolitik kommt den Menschenrechten eine Schlüsselrolle zu (vgl. Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart), Grundrechte müssen immer und überall für Alle gelten. Oder, mit den Worten des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch, der gegen die immense Zahl von Fällen rechtswidriger Abschiebehaft kämpft: "Der Rechtsstaat beweist sich da, wo wir mit Leuten zu tun haben, die wir nicht haben wollen".Download: Tagungsprogramm