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01/05/2019
Hurra, die Arbeit ist weg!?
10 Arbeitsstationen, 2 Agenten, viele Wartemarken… und die Frage: wie, wo und wieviel werden wir in Zukunft arbeiten? Die partizipative Installation des Künstlerduos Illig & Illig "Hurra, die Arbeit ist weg!?" verwandelt das COMMUNITYartCENTERmannheim für sechs Wochen in eine "Arbeitsagentur", in der die Besucher*innen neue Sichtweisen auf die Zukunft der Arbeitswelt gewinnen können. Das Projekt wurde im Rahmen des BASF Kulturförderprogramms "Tor 4 – Warum wird eigentlich alles besser?" gefördert und am Tag der Arbeit 2019 eröffnet.
Foto: COMMUNITYartCENTERmannheim
Hurra, die Arbeit ist weg!? Ein Grund zu Jubel? Wie "frei" sind wir in unserer neuen Freizeit, wenn uns durch Digitalisierung und Automatisierung immer mehr Arbeitsprozesse abgenommen werden? "Wollen wir wirklich arbeitslos sein?", fragte Annette Dorothea Weber, Künstlerische Leiterin des
COMMUNITYartCENTERmannheim (CaCm), zur Eröffnung und zitierte Oskar Negt: "Arbeitslosigkeit ist ein Gewaltakt, ein Anschlag auf die körperliche und seelisch-geistige Integrität der davon betroffenen Menschen (…)." Welche Hoffnungen und Ängste verbinden wir also mit der sich verändernden Arbeitswelt und wie können wir selbst zu Gestalter*innen dieses Wandels werden?
Das Künstlerduo Illig & Illig lädt die Besucher*innen dazu ein, solchen Fragen rund um die Zukunft der Arbeit in zehn begehbaren "Arbeitsräumen" aus Karton nachzugehen. Damit wecken sie Assoziationen zum Internethandel – mobil, flüchtig und abhängig von gestressten, schlecht bezahlten Bot*innen, die den Preis unserer neu gewonnen Flexibilität bezahlen, wie Annette Dorothea Weber zu bedenken gab.
"Muss man sich Sisyphos – nach Albert Camus – als glücklichen Menschen vorstellen?", fragte Norbert Illig die Besucher*innen, deren Wartemarkennummern sie zur Führung durch die Arbeitsagentur berechtigt hatten. Schließlich hat Sisyphos Freiheit gerade in der Akzeptanz und gleichzeitigen Verachtung seiner nicht endenden sinnlosen Tätigkeit gefunden. Im Arbeitsraum "Kenotaph" muss der Felsen nun nicht mehr mit eigenen Kräften geschoben werden, sondern schwebt dank Digitalisierung als Projektion über uns. Fluch oder Segen? Aber nur Erleichterung scheint uns unsere moderne Arbeitswelt nicht zu bringen: Im Raum "Kopfkino" muss sich fast jede*r wiedererkennen, ein Stimmengewirr zeugt von Ängsten und Stress, kreisenden Gedanken und Unsicherheit.
Ob mit Sinn und Erfüllung oder nicht, Geld zu verdienen ist für die meisten Menschen der zentrale Grund zu arbeiten. Illig & Illig haben im "Kohleraum" jede Menge Kohle aufgeschüttet, um zu zeigen: Es ist genug davon da. Aber was
vermag Vermögen? Nicht die Menge ist ausschlaggebend, sondern was wir damit machen, wogegen wir die "Kohle" eintauschen. Denn: "Wenn einer alles hat, ist das Spiel vorbei." Im "Arbeitsraum" regen Wort- und Gedankenspiele dazu an, über "Arbeit, die weg kann, die sein kann, die noch nicht ist" zu reflektieren: Büroklammern klammern? Radierungen radieren? Erbsen und Linsen sortieren – sinnlos, nutzlos, wirkungslos im Sinne bekannter Arbeitsmarktreformen?
Unter dem Schlagwort "Arbeitshaltung" spielt das Künstlerduo mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs "Haltung": Arbeitende
werden gehalten, sie haben aber auch eine bestimmte körperliche und mentale Haltung bei und zu ihrer Arbeit, wird anhand von 120 Tonfiguren verdeutlicht: Welche werden auch in Zukunft bleiben, welche verschwinden? Im "Verhandlungsraum" sind die Besucher*innen dazu eingeladen, sich bei einer Art diskursivem "Roulette" philosophische Fragen rund um das Thema Arbeitswelt zu stellen: War früher mehr Zukunft? Wann fängt das richtige Leben an und woran merken wir das? Wer bestimmt, wann, wo, was getan werden muss, kann, soll, darf? Kreative Gedanken haben auch auf der "Ideenwiese" freien Lauf; im Raum "Wertarbeit" dürfen die Besucher*innen – erhaben auf einer Stufenleiter stehend – selbst Urteile über die Arbeitswelt fällen.
Die zentrale Botschaft von Illig & Illig ist aber: Es bleibt uns immer ein Raum zur freien Entscheidung. Den Leitsatz zur Gestaltung der Zukunft der Arbeit finden die beiden Kunstschaffenden beim Psychiater und Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl: "Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit."
Als Begleitprogramm zum Projekt "Hurra, die Arbeit ist weg?!" finden verschiedene
"Arbeitsgespräche" statt: In einem ersten "Arbeitsgespräch" berichten die beiden "Arbeitsagenten" von ihren Forschungsergebnissen, in einem "Werkgespräch" spricht Annette Dorothea Weber mit der Schauspielerin Monika-Margret Steger zu den Themen "working poor" und die Zukunft der Arbeit und in einem "Abschlussgespräch" zur Finissage am 6. Juni kommen alle Beteiligten an einen Tisch und diskutieren bei einem Arbeitsessen über ihre Arbeit mit der Arbeit. Außerdem führen Illig & Illig immer donnerstags und freitags von 17:00 bis 19:00 Uhr sowie auf Anfrage durch die "Arbeitsagentur". Darüber hinaus wird das Thema Arbeit, insbesondere "Arbeit 4.0 – Zukunft Arbeit", das CaCm das ganze Jahr hindurch begleiten. Derzeit wird eine Mini-YouTube-Serie produziert, die sich, situiert in der Mannheimer Neckarstadt-West, humorvoll aber zum Nachdenken zwingend mit prekären Arbeitsverhältnissen, neuen Arbeitsformen und -normen sowie der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich in den Städten und zwischen Schein und Sein im Netz auseinandersetzt.
Zusammen mit der Stadt Mannheim, der Heinrich-Vetter-Stiftung, der BT Spickschen Stiftung und den Open Society Foundations unterstützt die Freudenberg Stiftung das COMMUNITYartCENTERmannheim.