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24 Januar

Hohenheimer Tage zur Migrationspolitik und gesellschaftlichem Zusammenhalt

Bei den Hohenheimer Tagen vom 24.-26. Januar 2020 des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart, des Diakonischen Werks Württemberg und des DGB-Bezirks
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24/01/2020

Hohenheimer Tage zur Migrationspolitik und gesellschaftlichem Zusammenhalt

Bei den Hohenheimer Tagen vom 24.-26. Januar 2020 des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart, des Diakonischen Werks Württemberg und des DGB-Bezirks Baden-Württemberg diskutierten Fachleute aus dem In- und Ausland, darunter auch Partner*innen der Freudenberg Stiftung. Mit Blick auf die Stiftungsschwerpunkte zeigte sich u. a. das große Potenzial von kommunalem Modellhandeln und Medien sowie die nach wie vor schwierige rechtliche Situation von jungen Geflüchteten in Ausbildung und von Geflüchteten, die von Mehrfachdiskriminierungen betroffen sind.
Foto: fotografie häußler/akademie
Zwar lassen sich durchaus Fortschritte in der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik erkennen, zum Beispiel die verbesserten europäischen Verteilungsmechanismen, die erweiterten Möglichkeiten zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung oder das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesrepublik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht jedoch nach wie vor dringender Handlungsbedarf. Der lasche Umgang mit Kroatien, wo zahlreiche Beweise für rechtswidrige Push-backs an der europäischen Außengrenze bekannt wurden, die Weigerung, minderjährige Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen, aber auch unzureichende Möglichkeiten der Familienzusammenführung oder kaum umsetzbare Anforderungen an die Identitätsklärung zeugen von einer großen "Härte" in der Asylpolitik (Prälat Dr. Karl Jüsten).

Kommunen als Avantgarde für Aufnahme und Integration?

Angesichts des Versagens staatlicher Migrationspolitik gehen europaweit immer mehr Kommunen ihren eigenen, menschenrechtsbasierten integrationspolitischen Weg. In der Bundesrepublik macht sich die Initiative "Sichere Häfen" mit mittlerweile über 120 Mitgliedskommunen gegen die Abschottungspolitik Europas und für ein sicheres Ankommen von Geflüchteten stark. Auf diese Weise wird das neue und rechtlich noch ungeklärte Phänomen geschaffen, dass Kommunen in EU-Ländern in ihrem Umgang mit Geflüchteten zwar nicht mit ihrer nationalen, dafür aber mit internationaler (Menschenrechts-)Gesetzgebung konform gehen (Prof. Dr. Barbara Oomen).

Wie lassen sich solche engagierten Kommunen unterstützen? Prof. Dr. Petra Bendel, Vorsitzende des SVR, stellte den Vorschlag für ein neues digitales Relocation-Verfahren zwischen Hot-Spots wie den griechischen Inseln und aufnahmewilligen Kommunen zur Diskussion. Ähnlich einer "Dating-App" könnten Geflüchtete und Kommunen mithilfe ihrer jeweiligen Profile miteinander "gematched" werden. Dabei, so Prof. Bendel, müsse freilich verhindert werden, dass Kommunen "Cherry-Picking" betreiben und sich etwa "drei Ingenieure bestellen", und unterschiedliche Kriterien wie Vulnerabilität, Sprachkenntnisse und Umsiedlungswunsch der Betreffenden berücksichtigt werden.

Es reiche aber nicht aus, wenn die Verwaltungsspitze integrationsfördernde Maßnahmen beschließt, es brauche "eine ganze Stadtgesellschaft, damit Integration gelingt", aber auch - eine bislang nicht vorhandene - gesetzliche Grundlage für kommunale Integrationspolitik, betonte Gari Pavković, Integrationsbeauftragter der Stadt Stuttgart. Seine Erfahrungen haben unter anderem gezeigt, dass soziale Benachteiligung eine viel wichtigere Rolle für eine ausbleibende Integration spielt als Herkunft, und dass sich die zentrale Spaltung zwischen Befürworter*innen einer offenen, pluralen versus einer demokratiefeindlichen, nationalkulturellen Gesellschaft abzeichnet. Gelingende Integrationsprozesse führen dabei gerade nicht zu mehr Harmonie, sondern zu neuen Verteilungskämpfen und die wiederum – demokratisch ausgetragen – zu mehr sozialen Zusammenhalt.

Rechtsprechung im Spiegel von Stereotypen und Vorurteilen: Homosexualität als Asylgrund

Weltweit werden LGBTQ*-Menschen in rund 80 Ländern kriminalisiert. Die Anzahl der Asylgesuche aus diesem Grund ist gestiegen, wird in der Bundesrepublik aber nicht systematisch erfasst. Obwohl Deutschland als eines der LGBTQ*-freundlichsten Ländern weltweit gilt, zeigt sich das Spannungsfeld eines gleichzeitigen Anstiegs rechtspopulistischer Politik. Anhörungen im Asylverfahren und die zu solchen Fällen veröffentlichte Rechtsprechung belegen eine vielfach stereotype, wenn nicht homophobe Umgangsweise mit Homosexualität, zeigte die empirische Forschung von Dr. Mengia Tschalaer. Geflüchtete, die sich auf ihre Sexualität als Asylgrund berufen, müssen einem internationalen Bild und institutionellen Vorstellungen von "Schwulsein" entsprechen, um Aussicht auf Erfolg zu haben und sehen sich dabei intimsten Fragen zu ihrem Beziehungs- und Sexualleben ausgesetzt. Über die Glaubwürdigkeit ihres Asylgesuchs entscheidet so ihre Performanz, die sich auf einem schmalen Grat zwischen "zu viel" und "zu wenig" zur Schau gestellten vermeintlicher Marker einer LGBTQ*-Identität bewegen muss. Die Annahme, Sexualität werde zwangsläufig äußerlich und öffentlich sichtbar und die Vorstellung einer individuellen Intimsphäre sind jedoch zutiefst westlich geprägt. Insbesondere bei westafrikanischen lesbischen Frauen - die von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind - ist die Ablehnungsquote mit rund 95 % extrem hoch. Vor allem, wenn sie bereits Kinder haben, wird ihnen oft nicht geglaubt. Daneben spielen zahlreiche weitere stereotype Vorstellungen eine Rolle, etwa eine schwarze Frau könne schlicht nicht lesbisch sein oder erfahrene Gewalt habe vielmehr mit ihrer "Kultur" als ihrem Outing zu tun.

Mehr Sachlichkeit in Debatten um Migration und Integration

Politiker*innen und andere, die sich für eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik einsetzen, haben mit heftigstem Gegenwind und schärfsten Anfeindungen zu kämpfen. Die jüngsten Angriffe auf Robert Habeck nach seiner Forderung, Deutschland solle minderjährige Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen, oder auf den Bundestagsabgeordneten Dr. Karamba Diaby sind nur Spitzen des Eisberges einer alltäglichen Flut von Hasskommunikation (Jutta Graf, Die Grüne). Insbesondere die gezielt von rechts gesetzten Kommentare in Online-Medien mit ihrem hohen Potenzial, sich zu multiplizieren und zu verselbstständigen, haben einen starken Einfluss auf Ton und Inhalt öffentlicher Debatten. Gerade große Medienhäuser mit ihren entsprechenden Ressourcen stehen daher in der Verantwortung, rigides und individuelles Kommentarmanagement über pauschales "Counter Speech" hinaus zu betreiben, um einen Beitrag zu einem sachlichen Diskurs um Migration, Asyl und Integration zu leisten (Prof. Dr. Michael Haller). Eine differenzierte und gleichzeitig klare Sprache kann also ein Schlüssel für ein verbessertes gesellschaftliches Klima sein. "Make it in Germany" wirbt die Bundesregierung auf ihrem Webportal für ausländische Fachkräfte - ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn diese Botschaft aus einer Menschenrechtsperspektive einen noch größeren Personenkreis einschließen müsste.


Die Freudenberg Stiftung ist regelmäßig Teilnehmende bei den Hohenheimer Tagen, bei denen Partnerorganisationen wie der SVR ihre Expertise in Migrations- und Integrationsfragen einbringen.