"Vertrauenssachen": CIVIS Medienkonferenz 2021
Die Corona-Krise hat eine interessante Entwicklung mit sich gebracht: Nie war das Vertrauen in die etablierten Medien in den vergangenen Jahren größer als Ende 2020. Was können die Medien tun, damit dieser aktuelle Trend nachhaltig bleibt? Was führt
...read more×
09/06/2021
"Vertrauenssachen": CIVIS Medienkonferenz 2021
Die Corona-Krise hat eine interessante Entwicklung mit sich gebracht: Nie war das Vertrauen in die etablierten Medien in den vergangenen Jahren größer als Ende 2020. Was können die Medien tun, damit dieser aktuelle Trend nachhaltig bleibt? Was führt überhaupt zur Ablehnung der Medien, wer sind die Kritiker*innen und (wie) können sie noch erreicht werden? Diese und weitere Fragen stellte die virtuelle CIVIS Medienkonferenz "Vertrauenssachen: Zum Einfluss etablierter Medien auf ihre Akzeptanz" am 09. Juni 2021 mit Vertreter*innen aus Medien, Wissenschaft und Politik unter Moderation von Golineh Atai (WDR).
Seit einigen Jahren schon stehen die Medien unter Druck: Zwar hielt sich der Anteil derer, die den Medien Vertrauen schenken, in den Jahren 2016-2019 konstant bei rund 40 %, gleichzeitig aber gaben immer mehr Menschen an, den Medien eher oder überhaupt nicht zu vertrauen.Die Corona-Krise hat nun zu einer Wende geführt: Nie war das Vertrauen in die Medien höher (56 %) und der Anteil derjenigen kleiner, die den Medien nicht vertrauen (16 %) – bezogen auf alle wichtigen Themen, nicht nur auf die Berichterstattung zur Pandemie. Auch andere Veränderungen gingen mit der Krise einher: Die Mediennutzung ist insgesamt massiv gestiegen und die Politikverdrossenheit gesunken, die Zustimmung zur Demokratie hat zugenommen (Dr. Christina Viehmann). Diese aktuellen Befunde der Mainzer Langzeitstudie "Medienvertrauen" der Johannes Guttenberg-Universität Mainz und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, in der seit 2008 jährlich rund 1.200 Menschen repräsentativ befragt werden, zeigen: Die Corona-Krise mit ihren fundamentalen Folgen für fast alle Menschen hat einen immensen "Durst" nach seriösen Informationen geschaffen (Dr. Christina Viehmann). Ob sich aber der Trend des gewachsenen Vertrauens in die Medien fortsetzen wird, ist längst noch nicht klar. Wenn auch aktuell so klein wie nie zuvor, bleibt eine Gruppe sogenannter "Zyniker*innen" mit einem tiefsitzenden Misstrauen gegenüber den etablierten Medien. Sich gerade diese Gruppe genauer anzuschauen, kann helfen zu verstehen, wo mögliche Ursachen für ein angespanntes Verhältnis zwischen Medien und ihrem Publikum liegen. Zyniker*innen sind überwiegend männlich und mit niedrigem Bildungsstand, fühlen sich in der Gesellschaft benachteiligt, sind wenig politisch interessiert, wählen aber überdurchschnittlich oft die AfD. Sie informieren sich mehrheitlich über soziale Medien und Messenger-Dienste, weniger über die öffentlich-rechtlichen oder überregionale Medien. Auch mit der Demokratie können sie wenig anfangen, neigen eher zu Verschwörungsideologien und sogar zu Gewaltbereitschaft (Dr. Christina Viehmann). Von den etablierten Medien fühlt sich diese "laute Minderheit" weder verstanden noch gehört. Viele Populist*innen sind unter ihnen zu finden, die sich in ihrem antipluralistischen Weltbild von den etablierten Medien nicht widergespiegelt sehen (Dr. Nayla Fawzi).Mit Perspektivenvielfalt Vertrauen stärken?
Gerade aber um die vielen Menschen zu überzeugen, die zwar eine "skeptische", also (noch) konstruktiv kritische Haltung zu den etablierten Medien haben, liegt es nun an diesen, sich selbstkritisch zu hinterfragen und mit "vertrauensbildenden Maßnahmen" (Golineh Atai) Entfremdungsprozessen entgegenzuwirken (Dr. Nayla Fawzi). Hier gibt es noch viel Nachholbedarf, stellten auch Hadija Haruna-Oelker (HR), Martin Machowecz (DIE ZEIT), Jörg Schönenborn (WDR), Judith Wittwer (Süddeutsche Zeitung) und Nadia S. Zaboura (Kommunikationswissenschaftlerin, Juryvorsitzende Deutscher Radiopreis) in der Abschlussdiskussion fest.Vertrauen in die Medien könne vor allem gestärkt werden, indem eine echte Perspektiven- und Meinungsvielfalt hergestellt werde und sich möglichst viele Menschen gehört und gesehen fühlen. Noch sind die Belegschaften der Redaktionen in den großen Medienhäusern vor allem urban, besser verdienend und mit hoher formaler Bildung, was sich unweigerlich auch in der Berichterstattung widerspiegle (Jörg Schönenborn, Martin Machowecz). Es fehlen nicht nur die Stimmen von Migrant*innen, Ostdeutschen oder Nicht-Akademiker*innen, auch konservative und ländlich geprägte Perspektiven sind unterrepräsentiert (Martin Machowecz).Eine Aufgabe für die Medien sei es daher, sich noch viel näher als bisher an den Lebenswelten ihres heterogenen Publikums zu orientieren und auch Themen aufzugreifen, die die "Abgehängten" und "Zyniker*innen" umtreiben, argumentierten Nadia S. Zaboura und Hadija Haruna-Oelker. Sie müssen allen Menschen zuhören, ohne eine Plattform für demokratiefeindliche Ideologien zu bieten und das ganze gesellschaftliche Geschehen abbilden, dabei aber immer kritische Fragen stellen (Judith Wittwer). Damit geht auch einher, innovative Formate zu entwickeln, die bisher übergangenen Zielgruppen und den Veränderungen des Medienbetriebs stärker gerecht werden (Nadia S. Zaboura, Hadija Haruna-Oelker).Mit echter Diversität, größtmöglicher Transparenz und Interaktion mit ihren Zielgruppen können Medien ihrer großen Verantwortung gerecht werden und einen Teil dazu beitragen, ihre Kritiker*innen zurückzugewinnen. Aber nicht nur die Medien selbst stehen in der Pflicht: Schon in der Schule könne eine fundierte Medienbildung erreichen, dass Jugendliche journalistische Prozesse früh verstehen und zu konstruktiven Kritiker*innen des Medienbetriebs, nicht aber zu pauschal urteilenden, destruktiven "Zyniker*innen" werden (Dr. Nayla Fawzi). Denn nur wenn ihnen zumindest ein grundständiges Vertrauen entgegengebracht wird, können Medien ihre zentrale Rolle für die Demokratie - zu informieren, zur Meinungs- und Willensbildung beizutragen sowie Kritik und Kontrolle zu üben - effektiv ausfüllen (Dr. Christina Viehmann). Zum Programm hierDieser Artikel ist ein Bericht der Freudenberg Stiftung. Die Freudenberg Stiftung gründete gemeinsam mit der ARD, vertreten durch den WDR, die CIVIS Medienstiftung und ist bis heute Gesellschafterin und Förderpartnerin.