Journal
2024 ... 2023 ... 2022 ... 2021 ... 2020 ... 2019 ... 2018 ... 2017
22. Februar

Kunst & Demokratie e. V. veranstaltet Friedensgespräche zum Krieg im Nahen Osten

Nach dem Massaker und der Geiselnahme der Hamas und der massiven militärischen Reaktion der israelischen Regierung mit zehntausenden Toten fehlen noch immer die Worte.
...weiterlesen
×
22.02.2024

Kunst & Demokratie e. V. veranstaltet Friedensgespräche zum Krieg im Nahen Osten

Nach dem Massaker und der Geiselnahme der Hamas und der massiven militärischen Reaktion der israelischen Regierung mit zehntausenden Toten fehlen noch immer die Worte. Das Format "Friedensgespräche" versucht durch eine konstruktive Debattenkultur sich diesem schwierigen und komplexen Thema anzunehmen, indem es unterschiedliche Positionen hörbar, sichtbar und begreifbar macht. An diesem Abend steht das Sprechen über die Komplexität der aktuellen Kriegssituation, die widerstreitenden Gedanken, Gefühle und Positionen im Mittelpunkt. Es geht nicht darum diese Widersprüche aufzulösen, sondern sie im Dialog miteinander zu teilen, auszuhalten und nicht zu verhärten.
Foto: COMMUNITYartCENTERmannheim
Der Verein Kunst & Demokratie und das COMMUNITYartCENTERmannheim haben am 22. Februar 2024 eingeladen all diesen Gefühlen Raum zu geben. Ausgangspunkt hierfür ist eine Lesung. Die Künstler*innen Annette Dorothea Weber und Mathias Wendel verlesen widerstreitende journalistische und poetische Texte über einen Konflikt, in dem vermeintlich nur Platz für eine "richtige" Sichtweise ist. Diese Texte bilden die Grundlage für das spielerisches Debattenformat.

Die acht Teilnehmer*innen des Debattenspiels sind alle gesellschaftspolitisch aktiv, sie sprechen an diesem Abend aber nicht für eine Organisation oder Gruppe, sondern stehen für sich und in Beziehung zu ihren Mitspieler*innen. Dabei sind Politikwissenschaftler, Bildungswissenschaftlerinnen, Sozialpädagoginnen, alle mit unterschiedlichen Hintergründen.

Im Laufe des Abends werden Aussagen verlesen, zu denen sich die Spieler*innen verhalten: "Das Existenzrecht Israels und der Schutz von Jüd*innen hat für mich angesichts der Verfolgungsgeschichte jüdischer Menschen oberste Priorität" oder "Für mich ist es ok, dass bei einer Demo gegen Rechtsextremismus "Free Palestine"-Flaggen gezeigt werden". Die Teilnehmenden positionieren und erklären sich, indem sie ihren Standpunkt durch ihr aufeinander Zu- oder Wegbewegen sichtbar machen auf einem Spielfeld, das die Optionen JA, NEIN und HOFFNUNG bereithält.

Sehr schnell wird offensichtlich, dass sich für alle etwas grundlegend verändert hat seit dem 7. Oktober 2023. Eine Mitspielerin erklärt, sie werde ständig angesprochen und die Menschen erwarteten Solidaritätsbekundungen von ihr, "weil wir in Deutschland aufgrund unserer Vergangenheit eine besondere Verantwortung für jüdisches Leben tragen". Darin sind sich alle einig. "Auf der anderen Seite" müssen sich auch Menschen mit (zugeschriebenem) muslimischem Hintergrund rechtfertigen: "ich muss mich ständig erklären und bekennen, dass die Hamas Terroristen sind, dass ich kein Antisemit bin", sagt ein Mitspieler mit türkischem Namen. Es besorgt alle, dass die Anfeindungen aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Mittlerweile werden Dinge artikuliert, die vorher unsagbar waren und "Du Jude" wird wieder verstärkt zum Schimpfwort, sagt ein junger Mann, der selbst jüdisch ist.

Und: "Es wurden nicht nur Süßigkeiten in Berlin-Neukölln verteilt, sondern auch in Mannheim." Ob es in Deutschland für ihn noch sicher ist oder ob Israel sein Zufluchtsort bleiben kann, fragt sich der junge Mann. "Es tut mir leid, dass Du Dich so fühlst", erwidert eine junge Frau. Sie ist Palästinenserin und erzählt davon, wie ihre Eltern mit dem ersten Evakuierungsflug aus Israel nach Deutschland ausgereist sind. Sie spiegelt die lange Leidensgeschichte der Palästinenser*innen in diesem aus ihrer Sicht asymmetrischen Konflikt und hofft darauf, dass alle Menschen in Israel in nicht allzu ferner Zukunft die gleichen Rechte haben werden. Sie berichtet von ihrem Schmerz und ihrer Trauer - vom Krieg. Ein Mitspieler umarmt sie.

Neben der Anteilnahme gibt es auch Hoffnungspunkte: Eine Mitspielerin aus Marokko erzählt von der friedlichen Koexistenz von Jüd*innen, Christ*innen und Muslim*innen aus Fez, von der unteilbaren Menschenwürde, die dieser Hoffnung zugrunde liegt. Und auch ein Format wie dieses, wo Kontroversen zugelassen werden, sehen die Mitspieler*innen als Hoffnungsmoment. Auf die Frage, was jeder/m Einzelnen Hoffnung macht und was man selbst bereit wäre zu tun, dass diese Hoffnung Wirklichkeit wird, regt ein Mitspieler an, "nicht nur in die Vergangenheit zu schauen. Alle müssen diese Demokratie jetzt verteidigen."

Es sollten keine Tabus herrschen an diesem Abend. Auch ein Ver-rücken an den Platz des Gegenübers und ein Außer-sich-Sein waren erlaubt. Dennoch hat man den Eindruck, dass die Mitspieler*innen mit sich ringen, als ob es schon genug Verletzung gibt in diesem Konflikt, in der Geschichte der Menschen und in der Verantwortung füreinander. Verzweiflung ja, aber keine Wut, kein Hass, nur ein Wunsch: "Ich will, dass mein Schmerz gesehen wird. Ich wünsche mir Verbindung und auch, dass wir zusammen trauern."

An diesem Abend geht es um Geopolitik und Proxy-Kriege, um Alternativen der Nationalstaatlichkeit, Völkerrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention. Aber vor allem geht es darum, einander zuzuhören, um ein verstehen wollen und mit anderen verbunden bleiben.

Am Ende des Abends stehen alle im "Hoffnungsfeld", auch wenn niemand an eine (baldige) politische Lösung des Konflikts glaubt. Ein Teilnehmer sagt: "Ich stehe hier als Humanist und stellvertretend für das Publikum. Denn was haben wir für eine andere Wahl, außer zu hoffen." Was auch Hoffnung macht, ist, dass sich die Mitspielenden zum Weiterreden verabreden wollen, beim gemeinsamen Abendessen, ohne Publikum.

Weitere Informationen zum Verein Kunst & Demokratie sowie eine Aufnahme der Lesung finden Sie hier

Die Freudenberg Stiftung unterstützt Projekte des Vereins Kunst & Demokratie sowie das COMMUNITYartCENTERmannheim zusammen mit der Stadt Mannheim, der Heinrich-Vetter-Stiftung, der BT Spickschen Stiftung, den Open Society Foundations und weiteren Förderpartnern.