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25.01.2019
Effektiver Altruismus – Gutes tun, wo es wirklich gebraucht wird?
Spenden und Stiftungsmittel dorthin lenken, wo die Probleme am größten sind und die Ressourcen am dringendsten gebraucht werden – ein bestechender Gedanke? Stiften und Spenden geschieht freiwillig und in Freiheit, nicht aus Pflicht – auch ein bestechender Gedanke?
Angesichts der großen Weltprobleme hat sich mit dem effektiven Altruismus eine Spenderbewegung gebildet, die seit zehn Jahren initiiert von Akteuren wie dem jungen Oxforder Philosophieprofessor William MacAskill und seinem Buch „Doing Good Better“ dafür plädiert, die eigenen Beiträge zugunsten des Gemeinwohls an ihrer größtmöglichen Wirkung für die großen Menschheitsfragen und -probleme auszurichten. Ihr Ziel ist es, das Spenden rationaler zu gestalten, es von den Anliegen, zu denen eine biografische oder emotionale Bindung bzw. ein Anlass besteht, auf die Anliegen zu lenken, die die größte Wirkung versprechen. Aber was ist die größte Wirkung? Nach welchen Maßstäben die größte Wirkung? Was zunächst wie eine rationale Spendenökonomie aussieht, birgt bei näherem Hinsehen Konfliktpotential.
Während die Messung der sozialen Wirkung von Gemeinwohlbeiträgen, von sozialen Investitionen, in den letzten Jahren methodisch große Fortschritte gemacht hat und auch jenseits kruder Ökonomisierung des Sozialen möglich ist, entstehen ganz neue Fragen beim Vergleich und bei der Bewertung der Ergebnisse. Ist der soziale Ertrag der Hospizarbeit für todkranke Menschen in den letzten beiden Wochen ihres Lebens weniger wertvoll als die Rettung eines oder gar mehrerer Menschenleben mit demselben Betrag? Oder hätte man damit nicht die Bildungschancen mehrerer Kinder in einem Entwicklungsland vielversprechend erhöhen und zur Erfüllung der Millennium Development Goals der UN beitragen können? Beginnen wir diese Vergleichsfragen zu stellen, entstehen ethische Probleme.
Der effektive Altruismus beansprucht, diese Vergleichsfragen lösen zu können. Diese Lösung bewerten Menschen jedoch sehr individuell in Abhängigkeit von ihren Wertvorstellungen. Nach diesen Wertvorstellungen zu leben und ihnen zur Geltung zu verhelfen, ist der Anspruch jeder Stifterin und jedes Gebers, die damit zum Gemeinwohl beitragen. Allerdings werden diese Beiträge freiwillig und in völliger Freiheit bei der Auswahl der Anliegen geleistet. In der öffentlichen Debatte werden sie ohnehin auf ihre Legitimität hin geprüft (jedenfalls unter Voraussetzungen der demokratischen Öffentlichkeit) und damit auf den Prüfstand der Wirksamkeit gestellt. Das ist legitim und prägt in den letzten Jahren zunehmend die Debatten im gemeinnützigen Sektor.
Diese Beiträge allerdings dem normativen Urteil anderer zu unterwerfen und diejenigen, die in den Augen effektiver Altruisten als weniger wirkungsvoll gelten, zu verurteilen, führt in die Unfreiheit. Es führt zur Gesinnungsprüfung des Spenders oder der Stifterin und ersetzt die Freiheit der Wahl durch die Pflicht zur Rationalisierung. Rationale Begründungen des eigenen Handelns erfordert der Diskurs der demokratischen Öffentlichkeit auch, aber er akzeptiert in allem Pluralismus, dass es verschiedene solche Rationalitäten geben kann.
Der Anspruch des effektiven Altruismus birgt die Gefahr, dass eine Rationalität sich gegenüber anderen als überlegen postuliert. Er birgt das Risiko, dass diese überlegene Rationalität allzu sehr der ökonomischen Rationalität gleichgesetzt wird. Er birgt das Risiko, dass Anliegen des Gemeinwohls nicht in Freiheit und Vielfalt, sondern nach dem Diktat einer überlegenen Rationalität bewertet werden. Das wäre ein Verständnis von Gemeinwohl, das zur Spaltung der Gesellschaft führte. Einer Gesellschaft unter dem Diktat moralischer Überlegenheit. Einer unfreien Gesellschaft.
Dr. Volker Then, Geschäftsführender Direktor, CSI, Universität Heidelberg