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17/06/2018
Verleihung des vierten Rolf-Engelbecht-Preises
Der Weinheimer Mittagstisch, ein gemeinsames Projekt der Weinheimer Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, wurde am Sonntag im Alten Rathaus mit dem Rolf-Engelbrecht-Preis 2018 ausgezeichnet. Im Fokus standen in diesem Jahr Initiativen, die sich gegen Armut einsetzen.
Dr. Adalbert Knapp, Bürgerstiftung Weinheim, in der Diskussion mit Vertreter*innen der Weinheimer Mittagstischs. (Foto: Freudenberg Stiftung)
Der Preis wird in ehrender Erinnerung an Rolf Engelbrecht seit 2012 alle zwei Jahre gemeinsam von der Stadt Weinheim, der Bürgerstiftung Weinheim und der Freudenberg Stiftung an Initiativen oder Einzelpersonen vergeben, die mit ihrem Engagement zu einer demokratischen Stadtgesellschaft beitragen. Rolf Engelbrecht, der erste frei gewählte Oberbürgermeister der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg, verlor aufgrund seiner jüdischen Abstammung unter dem nationalsozialistischen Regime seine Zulassung als Jurist und floh mit seiner Mutter ins niederländische Exil. Er hat sich bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1966 in herausragender Weise für die Stadt Weinheim verdient gemacht. Völkerverständigung und Menschenrechte waren die Themen, die ihm besonders am Herzen lagen.
Welche Facetten hat Armut in der reichen Stadt Weinheim? Gibt es Menschen, die auf ein kostenloses Mittagessen angewiesen sind, um satt zu werden? Die von Dr. Adalbert Knapp, Vorstandsvorsitzender der Weinheimer Bürgerstiftung, moderierte Gesprächsrunde mit Bettina Latsch, Geschäftsführerin der AWO Rhein-Neckar, Pastor Christian Pestel und Oberbürgermeister Heiner Bernhard, half einzuordnen, warum auch für viele Menschen in Weinheim Initiativen wie der Mittagstisch eine wichtige Unterstützung darstellen. Armut lasse sich zum einen nicht auf materielle Aspekte reduzieren, zu beobachten sei immer stärker eine „Familienarmut“, also das Wegfallen eines familiären Netzwerkes, aber auch eine zunehmende Altersarmut, so Lasch. Zum anderen sei Armut immer relativ und müsse am Lebensstandard der Umgebung gemessen werden, um zu verstehen, welche sozialen Ausschlüsse durch Armut produziert werden. So schaffe zum Beispiel der Mittagstisch für viele die nötige Luft, um das knappe Budget nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für die Dinge ausgeben zu können, die eine Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen – zum Beispiel für Kleidung für die Kinder, für die sie in der Schule nicht ausgegrenzt werden.
Die am Weinheimer Mittagstisch beteiligten Gemeinden laden schon seit 19 Jahren insgesamt für sechs Wochen und in wöchentlichem Turnus im Januar und Februar Obdachlose und einkommensschwache Personen zu Frühstück, Mittagessen und Vesper ein und bieten die Möglichkeit zu Gesprächen und Geselligkeit. Das Angebot wird mittlerweile von durchschnittlich etwa 90 Personen pro Tag angenommen, die dafür zum Teil sogar aus Mannheim oder von noch weiter her kommen, berichtete Getrud Oswald, eine der beiden Leiterinnen des Mittagstisches. Die zahlreichen Engagierten – junge wie alte, Männer wie Frauen – sind dabei Köch*innen, Ansprechpartner*innen und Streitschlichter*innen in Einem. Sie investieren aber auch viel Zeit im Hintergrund, um bei Bäckereien, Metzgereien oder Supermärkten vergünstigte oder kostenlose Ware zu organisieren und so die Kosten des Projekts, die sich bislang pro Saison bei etwa 8.000 bis 10.000 Euro belaufen, in einem tragbaren Rahmen zu halten. Trotz des Aufwandes und der zum Teil schwierigen Situationen, mit denen die Ehrenamtlichen umgehen müssen, werden sie durch die zahlreichen motivierenden Rückmeldungen, die sie immer wieder von ihren Gästen erhalten, in ihrem Engagement bestätigt.
Initiativen wie der Weinheimer Mittagstisch mögen zwar Ausdruck gesellschaftlicher -sozialstaatlicher - Defizite sein, zeugen aber mindestens genauso von ziviler Stärke, betonten die Beteiligten. Dies erkennt der Rolf-Engelbrecht-Preis an und schafft Öffentlichkeit und Wertschätzung, um möglichst viele Menschen zur Nachahmung und zum Mitmachen zu ermutigen.