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10/01/2019
Medien Revolution: Wer spricht denn da?
Wer spricht denn da? Wer bestimmt die öffentlichen Kommunikationsräume in der neuen dynamischen, immer komplexer werdenden digitalen Welt? Und wer sichert die Grundlagen der integrativen, kulturell diversen Gesellschaft? Diese Fragen stellten sich namhafte Vertreter*innen aus Wissenschaft, Medien und Politik in der elften Medienkonferenz der CIVIS Medienstiftung am 10. Januar 2019 in der Akademie der Künste in Berlin. Die Konferenz wurde gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, dem ORF, WDR, der Schöpflin Stiftung und der Freudenberg Stiftung ausgerichtet.
v. l. n. r.: Anja Reschke, Prof. Dr. Mark Eisenegger, Vivian Perkovic (Moderation), Prof. Dr. Bernhard Pörksen
"Sind wir dabei, eine gefährliche Grenze zu überschreiten?", fragte Michael Radix, Geschäftsführer der CIVIS Medienstiftung, zum Auftakt der Konferenz. Führen zunehmender Wettbewerb, Verunsicherung und Filterblasen, vorangetrieben durch die digitale Transformation, unabwendbar zu einer gesellschaftlichen Disruption? Wird Künstliche Intelligenz den Menschen bald überflüssig machen?
Die Medien-Expert*innen, die auf der Konferenz "Medienrevolution: Wer spricht denn da? Alternative Wirklichkeit im Zeitalter kreativer Zerstörung" gemeinsam diskutierten, wandten sich entschieden gegen solche
dystopischen Szenarien. Nach wie vor haben in Deutschland professionelle Medien die Oberhand (Prof. Dr. Mark Eisenegger), die deutsche Gesellschaft sei eine sehr "mittige" und "balancierte" (Gabor Steingart) und zeichne sich – zumindest bislang – durch eine "selbstdisziplinierende Vernünftigkeit" und "Immunität" gegen Populismus aus (Prof. em. Dr. Herfried Münkler). Digitale Medien schüren nicht nur Hass und Hetze, sondern ermöglichen Menschen auch neue Formen der Beteiligung und Zugang zu guten Inhalten.
Dennoch: Der Fall Claas Relotius verschärfte unlängst die schon länger schwelende Krise des Qualitätsjournalismus. Auch der jüngste "Datenklau"-Skandal, bei dem ein Schüler private Daten von Politiker*innen und Prominenten veröffentlicht hatte, ließ Debatten um Sicherheit im Netz erneut aufflammen.
"Pseudojournalistische Angebote" nehmen im Zuge einer fortschreitenden "Plattformisierung" mehr und mehr zu, erläuterte Prof. Dr. Eisenegger. Am Beispiel der Schweiz zeigte er, wie journalistische Informationsmedien zunehmend "weggespart" und der Medienbereich damit von wenigen Verlagshäusern beherrscht werde. Dies befördere eine Gleichförmigkeit der Medien, ein Schrumpfen der Argumentationen und Perspektiven. Die Gründe hierfür sind vielfältig und auch ökonomischer Natur: nicht nur seien Menschen immer weniger bereit, für Online-Nachrichten zu bezahlen, sondern hinter dem "PR-Boom", dem Emporschießen rein kommerzieller "Alternativmedien", die sich an teils kruden Partikularinteressen ausrichten, stecken nichts weiter als "unternehmerische Interessen im journalistischen Mantel".
Teil dieses Geschäftsmodells sei die
emotionale Logik der Sozialen Medien, so Eisenegger, da die polarisierten Reaktionen der User*innen auf emotionale Nachrichten eine noch passgenauere Werbung ermöglichen. Die primäre Rolle der Sozialen Medien sei dabei längst nicht mehr Information, sondern Identitätsmanagement und es gehe in ihnen, so brachte es die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Annette Wiedmann-Mauz auf den Punkt, keineswegs immer "sozial" zu. Mitgrund hierfür sei, so der Konflikt- und Gewaltforscher Prof. Dr. Andreas Zick, dass auch
Hass eine identitätsstiftende Bedeutung habe und Bestandteil von Kämpfen um Macht und Vorrecht sei. Hass sei dabei nicht nur Inhalt und Haltung, sondern auch ein bestimmter Kommunikationsstil. Ganz wesentlich stütze sich Hate Speech auf eine Täter-Opfer-Umkehr: Diejenigen, die hassen, stellen sich selbst als "Opfer" dar, das "Opfer" hingegen wird zum "Täter".
Dabei ist längst nicht jede*r, der oder die auf den Sozialen Medien kommuniziert, ein Mensch und noch weniger ein*e Bürger*in, strich Prof. Dr. Klinger heraus: Fünf bis zwanzig Prozent der Meinungsäußerung auf Twitter und Co. stamme von
algorithmisch gesteuerten Programmen. Diese haben jedoch ganz reale Folgen und beeinflussen maßgeblich politische Prozesse: In Indien zum Beispiel seien mehrere Dutzend Fälle bekannt, in denen vermeintliche Kinderschänder aufgrund automatisiert verbreiteter Falschnachrichten von Mobs erschlagen wurden; vor dem Referendum über das Abtreibungsgesetz in Irland im vergangenen Jahr konnte nur ein Eingreifen von Google und Facebook verhindern, dass das Internet von Anti-Abtreibungspropaganda geflutet wurde. Klinger sieht daher in einer besseren Kenntnis der Algorithmen eine notwendige Bedingung, um die digitale Öffentlichkeit zu verstehen und plädierte dafür, den Blick stärker auf die Gestalter*innen der Algorithmen, die Programmierer*innen und Entwickler*innen, anstatt nur auf die User*innen zu lenken, denn: "hinter jedem Algorithmus steckt ein Mensch".
Daher seien auch nicht die vielbeschworenen algorithmisch generierten Filterblasen verantwortlich für das gegenwärtig vergiftete gesellschaftliche Klima, so Prof. Dr. Pörksen. Schuld habe vielmehr der "Flugzeugkoller" – im übertragenen Sinn. Die Wissenschaftler*innen Katherine A. DeCelles und Michael I. Norton hatten sich auf Spurensuche gemacht, warum sich Menschen im Flugzeug oft besonders gereizt und unzufrieden fühlen und herausgefunden, dass weder "pappige Brötchen" noch trockene Luft ausschlaggebend sind, sondern die Tatsache, auf engstem Raum ohne Ausweichmöglichkeit mit Erste-Klasse-Passagier*innen zusammen zu sein – und vice versa (ebd. 2016). Die schlechte Stimmung betrifft nämlich nicht nur die "Holzklasse", sondern auch diejenigen, denen vor Augen geführt wird, dass ein First-Class-Ticket nicht für Jede*n erschwinglich ist. Auch unser Alltagsleben sei durch die digitalen Medien immer stärker von solchen
"Erfahrungen der Transparenz der Differenz" geprägt. Konfrontativen Meinungen könne man sich im digitalen Raum nicht dauerhaft entziehen. Anstatt in Filterblasen zu kreisen erlebten Menschen also vielmehr einen
"Filter-Clash". Die Erfahrung von Vielfalt im Internet, die immer größere Anzahl von losen virtuellen Kontakten habe jedoch durchaus auch viele positive Seiten. Pörksen strich in Anlehnung an den Soziologen Mark S. Granovetter (1973) die "Stärke der schwachen Verbindungen" heraus, denen wir häufig mehr als unseren engsten Bezugspersonen neue, heterogene Informationen und damit Chancen und Möglichkeiten verdanken.
Ein
selbstkritischer Blick auf den eigenen Habitus ist also gerade in der Medienwelt angebracht, zeigte die Konferenz: Es geht nicht nur darum, festgefahrene Konzepte wie zum Beispiel die Zweiteilung in einen nahezu rechtsfreien "Online-" und einen stark reglementierten "Offline"-Raum (Anja Reschke) oder besagte automatisch generierte Filterblasen kontinuierlich zu hinterfragen, sondern auch liebgewonnene Gewohnheiten des eigenen Berufstandes. Keine andere Branche verleihe mehr Preise und sei damit derart selbstreferenziell, so der Intendant der Deutschen Welle Peter Limbourg, der aber gleichzeitig die wichtige Bedeutung mancher Preise, wie die des CIVIS Medienpreises mit seiner großen thematischen Relevanz, hervorhob. Das Gros der für Preisgelder aufgewendeten Mittel würde jedoch gerade jetzt zur Stärkung des Qualitätsjournalismus nötiger gebraucht. Wie nie zuvor sind professionelle Medien heute gefragt, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückzugewinnen. Transparenz sei die "neue Objektivität", erklärte der Internetphilosoph David Weinberger bereits vor rund zehn Jahren. Helfen könne aber auch, wenn Medienschaffende in einen echten Dialog und kontinuierlichen Revisionsprozess mit den User*innen treten (Anja Reschke) – der eben gerade auch durch die digitalen Medien ermöglicht werde –, ihrer Einordnungs- und Moderationsrolle stärker gerecht zu werden und, so Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba, die "Dramaturgie der gestanzten Interviews" verlassen. Qualitätsjournalismus müsse sich davor hüten, rechtspopulistische Rhetorik und Strategien wie "Zahlenfetischismus", Einzelfall-Verallgemeinerung und alarmistische Formulierungen zu übernehmen.
Aber nicht nur Rechtspopulist*innen, auch dem oft gefährlichen Menschenbild der digitalen Visionär*innen, die in Menschen nichts weiter als "schlecht geratene Computer auf zwei Beinen" sehen, gelte es entgegenzutreten, so Prof. Dr. Armin Grunwald. In deren Augen sind Aushandlungsprozesse, die wesentlich für eine demokratische Gesellschaft sind, schlichtweg ineffizient, sie sähen Politik lieber von "Gemeinwohlautomaten" bestimmt anstatt von parlamentarischer Debatte. Das Beispiel China zeigt, dass diese Szenarien längst nicht mehr nur düstere Zukunftsutopien sind: Der
"automatische Staat" wurde als Staatsziel für 2020 ausgerufen, ein Social Credit System sorgt bereits dafür, dass banales Fehlverhalten ebenso wie mustergültiges Handeln im Alltag weitreichende Konsequenzen zur Folge hat, etwa ein Flugverbot oder aber eine Wohnung in bester Lage. Das ganze Leben werde so "gamifiziert" und tatsächlich solidarisches Verhalten nach und nach abtrainiert. Um nicht so zu enden und doch mithalten zu können, müssen wir eine Vision eines "demokratischen automatischen Staates" entwickeln, so der Politikberater und Herausgeber Mads Pankow.
Ein "Wir der Maschinen" wird es niemals geben, es braucht den Menschen, fasste der Publizist und Medienmanager Dr. h.c. Roger de Weck zum Abschluss zusammen. Diesen
Fokus auf den Menschen müssen wir auch in unserer (theoretischen) Debatte über die gesellschaftlichen Prozesse im Blick behalten und dabei alle diejenigen einschließen, die "im Prozess der Aufklärung" bleiben wollen.
Der vorliegende Artikel ist ein Bericht der Freudenberg Stiftung.Gemeinsam mit der ARD, vertreten durch den WDR, hat die Freudenberg Stiftung die CIVIS Medienstiftung gegründet. Seit 1987 zeichnet die CIVIS Medienstiftung jährlich herausragende Programmbeiträge aus, die für die Themen kulturelle Vielfalt und Bekämpfung von Diskriminierung sensibilisieren.