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19. Februar

Filmpremiere: Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen

In den letzten Jahrzehnten wurden in der Niederlausitz 130 Dörfer für den Kohleabbau abgerissen. Trotz des Kohleausstiegs in wenigen Jahren wird nun Mühlrose als letztes Dorf abgebaggert und seine Bewohner*innen umgesiedelt. Regisseurin Annette
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19.02.2023

Filmpremiere: Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen

In den letzten Jahrzehnten wurden in der Niederlausitz 130 Dörfer für den Kohleabbau abgerissen. Trotz des Kohleausstiegs in wenigen Jahren wird nun Mühlrose als letztes Dorf abgebaggert und seine Bewohner*innen umgesiedelt. Regisseurin Annette Dorothea Weber spürte in langen Aufenthalten vor Ort nach, was die Umsiedlungen und Landschaftszerstörung für Mensch, Tier und Natur bedeuten. Der künstlerische Dokumentarfilm, produziert vom COMMUNITYartCENTERmannheim, hatte am 19. Februar 2023 im Mannheimer Cinema Quadrat Premiere und tourt anschließend durch Ostdeutschland.
Foto: COMMUNITYartCENTERmannheim
In der Lausitz in Ostsachsen wird trotz der geplanten Energiewende nach wie vor im großen Stil Braunkohle abgebaut. 130 Dörfer wurden in den letzten Jahrzehnten für den Kohleabbau abgerissen. Der künstlerische Dokumentarfilm von Annette Dorothea Weber blickt nach Mühlrose (Miloraz), ein sorbisches Dorf im Landkreis Görlitz, das nun als letztes in der Gegend betroffen ist.

Der Abbau findet dort schon seit den 1960er Jahren statt, ruhte dann aber 50 Jahre lang. Nun sind schon die meisten Häuser im Dorf abgebaggert. Wenige Kilometer entfernt ist bereits das neue Mühlrose entstanden, sauber, ordentlich, die Einfamilienhäuser mit ihren Garagen und modernen Steingärten gut in Schuss. Bis auf drei Familien haben alle in Mühlrose schon längst ihr Haus an den Energiekonzern verkauft.

Was macht es mit den Menschen, seit Jahrzehnten auf "gepackten Koffern" zu sitzen, immer in der Ungewissheit, ob und wann es zu einer Umsiedlung kommt? Wenn Spannungen und Streit Familien und Nachbarschaften entzweien, weil die einen gehen, die anderen bleiben wollen? Was wird aus den Tieren, Wäldern, Friedhöfen? Aus Erinnerungen, Bildern und Träumen?
Solchen Umsiedlungsgeschichten spürte Annette Dorothea Weber mit ihrem Team in einer fast dreijährigen Recherche nach. Immer wieder reiste sie in die Lausitz, gewann das Vertrauen der Menschen, fragte nach, wurde Zeugin des unaufhaltsamen Fortschritts von Abbaggerung und Abholzung.

Ein Ort, viele Geschichten

Ganz unterschiedliche Menschen kommen so zu Wort, mit ihren eigenen, persönlichen Geschichten, oft geprägt von Brüchen und Widersprüchen. Eine sorbische Pfarrerin, die von den Traumata der Menschen berichtet, eine ältere Dame, Aktivistin gegen den Kohleabbau, deren verstorbener Mann selbst in den Gruben arbeitete, ein Feuerwehrmann, ein Vertreter von Greenpeace. Zuversichtlich und zukunftsgewandt klingt eine Gruppe Jugendlicher, aber auch ein "Rückkehrer", der nach Jahren außerhalb der Heimat nun vor Ort mit künstlerisch-gemeinschaftlichen Projekten die Menschen vor Ort unterstützen will, neue Visionen für die Region zu entwickeln. So hinterlässt der Film bei aller unverhohlenen Tragik und Zerrissenheit eine positive Botschaft: "Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen."

Der Film zeigt in beobachtenden, langsamen Bildern, wie über Audioinstallationen und Performances Gesprächsanlässe geschaffen wurden darüber, was war, und was in der Zukunft zu hoffen ist.
Annette Dorothea Weber thematisierte das "braune Gold" in Anlehnung an die griechische Sage von König Midas, dessen Wunsch, alles, was er anfasst, möge zu Gold werden, bald zu einem Fluch wurde. Sie arbeitete hierfür mit vergoldeten Kohlestücken und versuchte an öffentlichen Plätzen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, über ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen. Nicht leicht, wie die Regisseurin berichtet. Die Wunden sitzen tief, das Thema Hoffnung wird als intim empfunden, die Verschlossenheit gegenüber allem, was von "außen" kommt oder als "spirituell" wahrgenommen wird, ist groß. Eine Aneinanderreihung von Enttäuschungen hat die Menschen in dieser Region seit Jahrzehnten geprägt. Viele haben sich in das vermeintlich Unausweichliche einfach gefügt und gar nicht erwogen, sich dagegen zu wehren.

Das Künstlerduo Georgia Begbie (Tanz) und Peter Hinz (Percussionist) legte sich in einer choreografischen Performance wie tote Menschen in das "tote" Holz am Rande des Tagebaus, deuteten so die Zerstörungen an Umwelt und Lebewesen an. In einer Audioinstallation mit alten Umsiedlungsgeschichten bauten die Künstler Carlos Molina Llorens und Juan Sebastian Lopez Galeano die für den Kohleabbau zerstörten Dörfer als Vogelhäuser in Bäumen wieder auf, setzten so ein Mahnmal und zugleich ein Hoffnungszeichen. Mit einer Lichtinstallation aus Neonröhren zeichneten die beiden in Spanien lebenden Künstler den typischen sorbischen Vierseiten-Hof, umringt von Bäumen nach.

Mehr als ein Energie- und Klimaproblem

Die Atmosphäre im gut besetzten Kinosaal war gebannt, in konzentrierte Stille getaucht. Die Tiefe des Films, die unaufdringlichen und daher umso eindrucksvolleren Bilder wirkten im Publikum spürbar nach, zeigte die anschließende Diskussion mit Annette Dorothea Weber, Carlos Molina Llorens, Sebastian Lopez, Julia Schleisiek (Kamera/Schnitt) und Mike Rausch (Musik).

Einige Besucher*innen kamen selbst aus der Region oder haben dort Verwandte und konnten von ihren eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen berichten. Viele Fragen wurden aufgeworfen, die deutlich machten, wie weit das Thema greift und dass es um weit mehr als nur um "Kohleabbau" oder ein weiteres Dorf geht, das von der Landkarte verschwindet.
Welche Rolle spielt es, dass die betroffene Gegend vor allem von der sorbischen Minderheit bewohnt ist? Wie kann es sein, dass ein renaturiertes Gebiet wie die "Hochkippe" nun erneut durch den Bau eines Solarparks zerstört werden soll? Welche Rolle spielen Lobbyismus und Korruption? Aus europäischer Perspektive zeigen sich Parallelen zu anderen Dörfern, die, aus ganz unterschiedlichen Gründen, verlassen werden mussten, wie die Künstler Llorens und Lopez am Beispiel Spanien berichten.

So ist "Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen" ein Film über ein drängendes Klima- und Umweltproblem, aber auch über die ambivalente Bedeutung von Heimat. Er ist eine Hommage an diejenigen, deren Stimmen sonst nicht gehört werden, und ein sensibler Appell, hinter die Oberfläche und auf das Ganze zu schauen.


Die Freudenberg Stiftung unterstützt das COMMUNITYartCENTERmannheim zusammen mit der Stadt Mannheim, der Heinrich-Vetter-Stiftung, der BT Spickschen Stiftung und weiteren Förderpartnern. Das Filmprojekt "Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen" wurde von den Open Society Foundations gefördert.