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20. Juli

„10 Jahre Arbeitsgemeinschaft“: Die Sommerklausur der Weinheimer Initiative 2017

Die Weinheimer Initiative blickt nunmehr auf eine zehnjährige Wirkungsgeschichte zurück: Zeit für die Arbeitsgemeinschaft, anlässlich ihrer Sommerklausur
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20.07.2017

„10 Jahre Arbeitsgemeinschaft“: Die Sommerklausur der Weinheimer Initiative 2017

Die Weinheimer Initiative blickt nunmehr auf eine zehnjährige Wirkungsgeschichte zurück: Zeit für die Arbeitsgemeinschaft, anlässlich ihrer Sommerklausur (selbst-)kritisch Bilanz zu ziehen und das eigene Selbstverständnis zu reflektieren, Stärken und Schwächen aufzuspüren sowie gemeinsam zukunftsweisende Perspektiven zu erarbeiten.
Das Jahresforum Extra 2016 in Berlin zum Thema "Vielfalt in der Ausbildung". (Foto: Weinheimer Initiative e. V.)
Als ein Zusammenschluss von bundesweit über 20 Städten, Kommunen und Landkreisen, die durch „Kommunale Koordinierung“ Mitverantwortung für gelingende Übergänge zwischen Schule und Arbeitswelt übernehmen und dabei wesentlich auf „lokale Verantwortungsgemeinschaften“ aller daran beteiligten Akteur*innen setzen, hat sich die Weinheimer Initiative von Beginn an einem Thema verschrieben, das zuvor vielerorts Neuland war. Sie hat wegweisend dazu beigetragen, dass kommunales Bildungs- und Übergangsmanagement heute weitgehend mainstream ist. Der Film „Reise in die offene Gesellschaft“ (2017) gibt lebendige Einblicke, wie die Mitgliedskommunen und -städte tagtäglich dazu beitragen, Bildung und demokratische Teilhabe vor Ort zu stärken. Nun gilt es für die Weinheimer Initiative, verstärkt einen multidimensionalen Blick auf Bildungsgerechtigkeit einzunehmen, aber auch internationale Zusammenhänge stärker miteinzubeziehen. Ebenso muss weiter daran gearbeitet werden, eine Öffnung von Unternehmen gegenüber formal weniger gut qualifizierten Jugendlichen zu erreichen.

Zugang und Qualität von Bildung sichern – eine Aufgabe mit vielen Gesichtern

Benachteiligung ist "hartnäckiger als gedacht“. Auch demografischer Wandel und eine verstärkte Zuwanderung machen es notwendig, das Handlungsfeld „Übergang Schule-Beruf“ fortzuführen und dynamisch an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen an Bildung ist dabei untrennbar mit anderen gesellschaftlichen Bereichen verbunden. Die Stadt Kassel zum Beispiel nimmt daher eine Vorreiterrolle ein, indem sie Kommunale Koordinierung nicht nur auf den Bereich Bildung beschränkt, sondern die verwandten und miteinander interagierenden Bereiche der Gesundheits- und Stadtentwicklung miteinbezieht. Das Thema Stadtentwicklung ist aber auch für andere Kommunen von großem Interesse. Gentrifizierungsprozesse schreiten vor allem in manchen Bezirken Berlins unaufhaltbar fort und führen zu sozialen Spaltungen und Spannungen; Städte und Kreise in ländlichen Regionen wie Hoyerswerda oder der Landkreis Göttingen haben mit Abwanderung und Überalterung zu kämpfen. Gerade in Gebieten mit solchen sozialräumlichen Problemen zieht dann der allgemeine Mangel an pädagogischem Personal besonders gravierende Auswirkungen mit sich. So können Stadtviertel und Landstriche – und damit oft ganze Generationen – leicht in eine Abwärtsspirale geraten. Bei der Suche nach Gegenbewegungen in Quartieren, die abgehängt zu werden drohen, lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen zum Beispiel Kitas als soziale Knotenpunkte nutzen, um auch andere Zielgruppen zu erreichen, so die Erfahrung einer Teilnehmerin. Sozialräumlichen Faktoren eine größere Bedeutung beizumessen und einer desintegrativen Stadtentwicklung frühzeitig entgegenzuwirken, kann also für die Arbeitsgemeinschaft ein wichtiges zukunftsweisendes Handlungsfeld darstellen.

„Diversity“ in Unternehmen praktische Realität werden lassen

Eine weitere Problemstellung, mit der die Akteur*innen region- und länderübergreifend zu kämpfen haben, ist, Unternehmen dazu zu bewegen, sich getreu dem Motto, die „Richtigen“, nicht unbedingt immer nur die „Besten“ zu wollen, gegenüber Jugendlichen zu öffnen, die – zum Beispiel wegen ihrer schulischen Vorgeschichte – besondere Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Viele Unternehmen scheinen immer noch closed communities zu sein, in denen gut angepassten jungen Leuten mit guten Schulleistungen der Vorzug gegeben wird. Zwar sei in vielen Branchen der Anteil der Arbeitnehmer*innen mit Migrationshintergrund durchaus ansehnlich, ausgeschlossen bleiben aber diejenigen Migrant*innen, bei denen mehrfache Ausgrenzungsmechanismen wirken, zum Beispiel ihre nichtdeutsche Herkunft mit anderen sozialen Benachteiligungen wechselwirkt. Das Berufliche Qualifizierungsnetzwerk für Migrantinnen und Migranten (BQN) in Berlin arbeitet daher gerade gemeinsam mit einem Konsortium aus Schulen und Betrieben daran, dass Jugendliche, die sich in Praktika bewähren, ohne die konventionellen Auswahlverfahren in eine Ausbildung gelangen. Einmal „drin“ im Unternehmen, lassen sich aufkommende Probleme im Alltag lösen, während ansonsten stereotype Einstellungskriterien diesen Schritt erst gar nicht ermöglichen.

Wie weit reicht lokale Verantwortung?

Angeregt durch Dr. Wilfried Kruse, Koordinator der Arbeitsgemeinschaft, wurden die Debatten stets wieder auf die entscheidende Frage zurückgeführt, was ein verantwortungsvoller Beitrag kommunaler Netzwerke für diese Probleme sein könne. Die Arbeitsgemeinschaft dürfe ihre Fokustreue nicht verlieren und solle vor allem zielgerichtete Erweiterungen dieses Fokus vornehmen. So zeigten sich die Teilnehmenden geteilter Meinung darüber, inwieweit die Weinheimer Initiative strukturell und bundesweit, zum Beispiel in Gesetzgebungsverfahren, Einfluss nehmen zu versuchen solle. Als ähnlich umstritten erwiesen sich mögliche internationale Kooperationen der Weinheimer Initiative. „Wir können uns nicht alle Probleme der Welt vornehmen“, mahnte Heiner Bernhard, Oberbürgermeister der Stadt Weinheim und Sprecher der Weinheimer Initiative, zur Besonnenheit. Dennoch sei, so bemerkten die Teilnehmer*innen, eine internationale Ausrichtung, insbesondere wenn sie sich organisch entwickelt, durchaus von kommunalem Interesse: „Lokal“ und „global“ waren noch nie Kategorien, die sich trennscharf voneinander abgrenzen ließen und sind es in neuerer Zeit noch weniger. Wie eine solche zunehmende Aufmerksamkeit gegenüber internationalen Kooperationen in der Praxis aussehen kann, bleibt ebenso ein künftiges Arbeitsfeld der Weinheimer Initiative; Ideen wie Städtepartnerschaften oder eine kommunale Begleitung von (freiwilligen) Re-migrant*innen wurden von den Teilnehmenden in die Diskussion eingebracht.
Aber auch die Dynamik der Arbeitsgemeinschaft selbst stand auf der Agenda: Dr. Wilfried Kruse argumentierte mit einem notwendigen „internen Wiederbelebungsprozess“: Mit einem noch lebendigeren, permanenten Austausch unter den Mitgliedskommunen könnten sich zum Beispiel die jährlichen Foren und Spitzentreffen thematisch enger an Fragestellungen ausrichten, die sich aus den spezifischen und aktuellen kommunalen Problemlagen ergeben.

Die guten, produktiven Diskussionen während der gesamten Tagung stimmten optimistisch, dass die Weinheimer Initiative noch nicht ihre Daseinsberechtigung verloren und als progressive Initiative „von unten“ durch ihre kommunale Praxiskompetenz über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt, das frischen Wind in eingefahrene Strukturen bringen kann und Probleme weitsichtig, aber praktisch und „vor Ort“ zu lösen in der Lage ist.

Die Freudenberg Stiftung finanziert die Weinheimer Initiative zusammen mit den Mitgliedskommunen und -städten der Arbeitsgemeinschaft.