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02. November

Überforderung der Kommunen? Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten

Erneut sind die Herausforderungen der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten bestimmendes Thema in den Medien und der Politik. Oft aber fehlen die
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02.11.2023

Überforderung der Kommunen? Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten

Erneut sind die Herausforderungen der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten bestimmendes Thema in den Medien und der Politik. Oft aber fehlen die Daten, um die tatsächliche Lage vor Ort einschätzen zu können.
Grafik: Universität Hildesheim und MDI 2023
Die Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim und der Mediendienst Integration haben im Oktober 2023 eine bundesweite Online-Umfrage unter deutschen Kommunen und Landkreisen durchgeführt, um genau diese Datengrundlage zu liefern. Sie sind der Frage nachgegangen, wie viele Kommunen mit der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten (tatsächlich) überfordert sind und wie sie ihre Lage einschätzen.

"Die Lage ist aus Sicht der Kommunen flächendeckend angespannt", heißt es in dem Bericht der Forscher*innen. Dennoch überwiegt noch immer die Einschätzung einer "machbaren Herausforderung" gegenüber dem "Notfallmodus". Nach wie vor kommen viele Kommunen ohne Notunterkünfte aus.

Über die Hälfte der Kommunen, nämlich 55 Prozent, nutzen derzeit (noch) keine Notunterkünfte als Unterbringungsform. Bei den Notunterkünften handelt es sich vor allem um Container. Im Vergleich zu Sporthallen oder Zelten stellen sie in geringerem Maße eine Notfalllösung dar und können auch Raum für Familieneinheiten bieten. In kleineren Städten und Gemeinden werden Container deutlich seltener genutzt als in größeren Städten oder von Landkreisen. Sporthallen hingegen werden nur in 6 Prozent aller Kommunen belegt.

Über 80 Prozent der Kommunen konnten Geflüchtete in eigenen oder angemieteten Wohnungen unterbringen, wobei sich häufig mehrere Familien eine Wohnung teilen. Festzuhalten ist außerdem, dass es sich hier nicht zwingend um Neuankommende handeln muss. Oft bringen Kommunen auch Menschen in Wohnungen unter, die bereits seit Jahren in Deutschland und als Flüchtlinge anerkannt sind, weil sie keine Chancen auf dem regulären Wohnungsmarkt haben. Auch für etwa 300.000 ukrainische Geflüchtete stellen die Kommunen seit 2022 Unterkünfte bereit, wobei die Mehrheit der Ukrainer*innen privat untergekommen ist.

Bewertung der Belastungslage: Einschätzung der Kommunen

Eine weitere Erkenntnis aus der Studie ist: "Wie die Lage vor Ort beurteilt wird, hängt zum Teil davon ab, wer aus einer Kommune die Befragung ausfüllt. Bürgermeister*innen oder Landrät*innen schätzen die Lage tendenziell negativer ein." 53 Prozent von ihnen sehen die eigene Kommune als "überlastet" an, während das bei Mitarbeitenden der Fachabteilungen nur 37,5 Prozent sind. Dieser Effekt bleibt über alle Kommunengrößen hinweg bestehen. Denkbar ist demnach, dass neben der konkreten Lage vor Ort auch Debatten in Medien und Politik sowie im persönlichen und beruflichen Umfeld die Bewertung der Belastungslage beeinflussen – es sind also gefühlte Wahrheiten, keine objektiven Faktoren.

Überlastung in anderen Bereichen

Die Forscher*innen erfassten in offenen Fragen auch, welche Bereiche mit Blick auf die Aufnahme und Integration Geflüchteter als überlastet wahrgenommen werden. Neben der Unterbringung und der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt, wurden die Kindertagesstätten und die Verwaltung am häufigsten genannt. Rund ein Drittel der Kommunen, sehen diese Bereiche als "überlastet, im Notfallmodus". Seltener genannt wurden Schulen, Sprachkurse, Beratungsangebote und "Integration". Ein Grund dafür könnte sein, dass Kommunalverwaltungen die Themen in eigener Zuständigkeit einfach deutlich häufiger und besser im Blick haben als solche, für die meist andere Träger verantwortlich sind, wie z.B. Sprachkurse und Beratungsleistungen, erläutern die Wissenschaftler*innen.

Bewältigung der Unterbringung

Bei der Frage, was der eigenen Kommune bei der Bewältigung der Unterbringung helfen würde, haben die Befragten vor allem auf drei Aspekte hingewiesen:
• Eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland und damit geringere (oder gar keine) Zuweisungen mehr in die eigene Kommune.
• Eine bessere Finanzierung der kommunalen Flüchtlingsaufnahme – mit unterschiedlichen Schwerpunkten: teilweise auf höheren Zahlungen, teilweise auf Dauerhaftigkeit der Finanzierung.
• Unterstützung bei der Unterbringung und der Versorgung der Geflüchteten mit Wohnraum; konkret wurden hier insbesondere Vereinfachungen bei gesetzlichen Vorschriften, eine stärkere Verantwortung von Bund und Land für Unterkünfte, aber auch eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus genannt.

Zwar haben mehr als 600 Kommunen an der Umfrage teilgenommen, dennoch sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. So kam etwa die Hälfte aller Antworten aus Baden-Württemberg, sehr wenige aber aus ostdeutschen Kommunen. Insgesamt sind die Antworten aber über die Bundesländer und Gemeindegrößen breit genug gestreut, um eine Einschätzung der Lage abgeben zu können.

Ein weiteres Fazit aus der Studie

Die Gründe, weshalb Kommunen überlastet sind, sind vielfältig. Kommunen mussten sich in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Krisen auseinandersetzen: vom Fachkräftemangel über Pandemie-Nachwirkungen, Digitalisierungsrückstand und Flüchtlingsaufnahme. Die unteren Ebenen der Verwaltung haben in dieser Zeit immer mehr Aufgaben übernommen. Die Autoren halten abschließend fest: die kommunalen Bedarfe zu hören und zu transportieren, ohne zu dramatisieren, bleibt eine Herausforderung für die mediale und politische Debatte.

Zur Befragung der Universität Hildesheim und dem Mediendienst Integration geht es hier, zum Kurzbericht hier.

Die Freudenberg Stiftung unterstützt den Mediendienst Integration seit seiner Gründung im Jahr 2012.