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10. Februar

High Noon – Europa im Energierausch: Premiere und Filmtour

"High Noon – Europa im Energierausch" ist ein künstlerischer Dokumentarfilm, der sich mit Landschaftszerstörung und den Folgen von Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Namen der sogenannten Energiewende in vier europäischen Ländern auseinandersetzt.
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10.02.2025

High Noon – Europa im Energierausch: Premiere und Filmtour

"High Noon – Europa im Energierausch" ist ein künstlerischer Dokumentarfilm, der sich mit Landschaftszerstörung und den Folgen von Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Namen der sogenannten Energiewende in vier europäischen Ländern auseinandersetzt. Der Film feierte am 10. Februar 2025 Premiere im Obenkino Cottbus. Es folgten Vorstellungen in Spremberg, Leipzig, Zittau und Berlin. Zentral waren dabei die anschließenden Publikumsgespräche mit der Filmemacherin und lokalen Expert*innen mit dem Ziel, zu diesem hoch kontroversen Thema gemeinsam ins Gespräch zu kommen und verhärtete Positionen aufzuweichen.
Foto: Arthur Bauer
Der Hunger nach Energie wird immer größer in Europa, der Verbrauch steigt stetig. Bei internationalen Konzernen und Investoren herrscht "Goldgräberstimmung". Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss beschleunigt werden, wenn Europa seine Klimaziele erreichen will. Das Rennen um Energieressourcen und Rohstoffe ist eröffnet, Landschaftszerstörungen schreiten in hohem Tempo voran.

Diese Entwicklung betrachtet "High Noon – Europa im Energierausch" in Deutschland, Spanien, Bosnien und Herzegowina und Serbien – vier Länder mit jeweils ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. In allen Ländern aber zeigt sich: Viele Menschen wollen diese Zerstörung ihrer Heimat nicht hinnehmen und vernetzen sich trotz teils massiver Bedrohungen und Anfeindungen in Widerstandsbewegungen. Der Film setzt die Perspektiven der Aktivist*innen, ihr Wissen, ihre Gefühle und Motivation in den Fokus und gibt zugleich fundierte Hintergrundinformationen über die jeweiligen wirtschaftlich-politischen Verstrickungen der federführenden Energiekonzerne.

Künstlerische Performances und philosophische Texte zu Resonanzbeziehungen zwischen Menschen und ihrer Umgebung sowie Zeilen des sorbischen Dichters Kito Lorenc ergänzen die Landschaftsaufnahmen und unterbrechen die dokumentarischen Darstellungen, lassen diese eindringlich nachwirken und schaffen Momente des Innehaltens. Performances farbiger Figuren, die sich sowohl von der sie umgebenden Landschaft absetzen als auch mit dieser zu verschmelzen scheinen, geben Denk- und Fühlanstöße und machen die Umweltzerstörung – aber auch die Hoffnung erfahrbar. "Nicht nur das Verfügen über Dinge, sondern das In-Resonanz-Treten mit ihnen ist der Grundmodus lebendigen menschlichen Daseins", beginnt "High Noon" mit einem Zitat Hartmut Rosas – eine Aussage, die durch den ganzen Film in den Bildern und Zeugnissen der Aktivist*innen hinweg spürbar wird.

Vier Länder – vier Gesichter der Energiewende

Deutschland

In Deutschland mit seiner starken Automobilindustrie werden erneuerbare Energien gerade auch für die E-Mobilität gebraucht. In der Lausitz im Osten des Landes blickt der Film auf die Mulkwitzer Hochkippen. Die vom Tagebau zerstörte und wieder voll renaturierte Wald- und Wiesenfläche soll nun dem Bau von Solarparks, Windkraftanlagen und einem "Öko-Kraftwerk" zum Opfer fallen. Zum Erhalt der Hochkippe Mulkwitz, Heimat für Wölfe und viele andere bedrohte Tierarten, hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, nachdem 2020 die Pläne privater Investoren bekannt wurden, diese einmalige Natur – insgesamt 900 Hektar – für Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu zerstören. Auch eine örtliche Solargenossenschaft zeigt, dass Strom klima- und umweltverträglich und nach demokratischen Prinzipien gewonnen werden kann. Zumindest bis heute konnte die Bürgerinitiative erreichen, dass keine der geplanten Baumaßnahmen durchgeführt wurde. Aber auch wenn die Behörden des Landkreises mittlerweile hinter der Initiative stehen, verfolgen die Gemeinde Schleife und die Interessensgemeinschaft der Investoren ("Romus") ihre Pläne kompromisslos weiter.

Spanien

Das sonnenreiche Spanien, das bereits an großer Wasserknappheit leidet, soll zur "Batterie Europas" werden. In Chiva (Valencia) plante das italienische Unternehmen Renantis neben dem Naturpark Sierra de Chiva den Bau einer riesigen Solaranlage. Der Park ist Brutgebiet für Greifvögel, Heimat von Eichen, Oliven- und Mandelbäumen und der jahrhundertealten Johannisbrotbäume, der bedeutendsten Baumart der Region. Mindestens 150 dieser wertvollen Bäume, die einen ganz spezifischen Lebensraum benötigen und nicht nur einen hohen kulturellen Wert für die Region und die Bevölkerung haben, sondern für die Herstellung vieler gefragter Produkte genutzt werden, hätten gefällt werden müssen. Der Bau der Solaranlage hätte durch die Zerstörung der natürlichen Wasserläufe zudem zu Überschwemmungen, Verschlammungen und Erosionen geführt, riesige Mengen des ohnehin knappen Grundwassers verschlungen und dieses dauerhaft verseucht.
Doch in Chiva zeigte sich, wie gemeinsames Engagement zum Erfolg führen kann: Insgesamt 36 Vereine aus ganz unterschiedlichen Bereichen, aber vereint in der gemeinsamen tiefen Verbundenheit mit der Region, schlossen sich zusammen, um das Vorhaben zu verhindern. Dem Bündnis gelang es, eine immense Öffentlichkeit zu erreichen und schließlich die Unterstützung aller Parteien und der Stadtverwaltung zu erhalten: Das Projekt wurde gestoppt.

Bosnien und Herzegowina
Bosnien und Herzegowina ist noch immer geprägt vom Krieg der 1990er und derzeit EU-Beitrittskandidat. Im Nordosten des Landes, wo schon lange Kohle und Salz abgebaut wird, ist nun die Lithium-Erzader im Majevice-Gebirge, die bis zum serbischen Jadar-Tal reicht, im Visier des Schweizer Unternehmen ARCORE – in Kooperation mit dem deutsch-kanadischen Unternehmen Rock-Tech, das auch in der Lausitz aktiv werden will.

Gegen den Bau formt sich kleiner, aber energischer Widerstand der Gruppe "Karton Revolucija" als "Aufbegehren gegen ein sehr korruptes System", so zwei der Mitglieder. Sie sind überzeugt, dass die Bürger*innen der Region in keiner Weise vom Abbau profitieren werden und stattdessen die Umwelt komplett verseucht würde. "Müssen wir alles zulassen, nur um in die EU aufgenommen zu werden?", fragen sie. Positiv daran sei nur, dass nun Menschen auf beiden Seiten der Grenze, die jahrzehntelang gegeneinander aufgebracht wurden, gemeinsam gegen das zerstörerische Projekt eintreten.

Serbien
Dort, in Serbien, ebenso EU-Beitrittskandidat mit zugleich guten Beziehungen zu Russland und China, investiert der australische Konzern Rio Tinto in der malerischen, fruchtbaren Landschaft des Jadar Tals in den Aufbau einer riesigen Lithium-Mine. Hierfür sollen 2030 Hektar Land zerstört werden und Tausende Menschen aus ihren Dörfern umgesiedelt. Mit Bestechung und Einschüchterung übt Rio Tinto Druck auf die Einwohner*innen der betroffenen Region rund um die Gemeinde Loznica auf, damit sie ihre Häuser und Grundstücke verkaufen. Der serbische Staat steht fest hinter dem Projekt.

Besonders Deutschland zeigt großes Interesse am serbischen Lithium, beide Länder vereinbarten 2024 ein Abkommen. Angesichts der dunklen Vergangenheit des Unternehmens Rio Tinto, das von Hitler über Franco hin zum Apartheid-Regime Südafrikas mit vielen autoritären Regimen zusammengearbeitet hat, wirkt das deutsche Interesse am serbischen Lithium und die drohende Zerstörung des Gebiets besonders problematisch. Der serbische Staat geht immer gewaltsamer gegen die Proteste vor, die sich im Zuge der aktuellen Studierendendemonstrationen zugespitzt haben.

Widerstand geht federführend vom Verein "Ne damo Jadar" ("Wir geben Jadar nicht auf") aus. "Die reichen EU-Länder betrachten die Menschen des Balkans als Menschen zweiter Klasse", so ein Bewohner. "Sie brauchen Lithium, damit sie selbst ohne Benzin in ihre Städte fahren können, während wir uns vergiften." Dabei wäre längst nicht nur die Jadar-Region betroffen, sondern die Giftstoffe würden durch die Überschwemmungen bis in die Donau getragen. "Wir kämpfen nicht nur für unsere Dörfer, für Serbien oder Europa, sondern für die Zukunft des ganzen Planeten. Zum Leben brauchen Menschen saubere Luft, Nahrung und Wasser – aber kein Lithium."

Gemeinsam nach neuen Wegen suchen

Ziel des Films ist es, den Austausch über das kontroverse Thema Energie anzustoßen, verhärtete Positionen aufzuweichen und eine konstruktive Auseinandersetzung mit der "Energiewende" zu ermöglichen. So nehmen bei allen Aufführungen, die nicht nur, aber gerade auch in den betroffenen Regionen in allen vier Ländern geplant sind, die von der Filmemacherin und lokalen Expert*innen begleiteten Publikumsdialoge im Anschluss eine zentrale Rolle ein.

Bei der Premierentour durch Cottbus, Spremberg, Leipzig, Zittau und Berlin im Februar wurde deutlich, wie unterschiedlich das Publikum auf die verschiedenen Aspekte und Motive des Films reagiert und miteinander ins Gespräch kommt. Unberührt ließ der Film das Publikum nirgendwo. Die Diskussionen in der Wahlkampfzeit führten vor Augen, dass es bei diesem politisch und kulturell aufgeladenen Thema um viel mehr als um den konkreten Inhalt geht, und zeigten vielerorts ein Spiegelbild der oft verhärteten gesellschaftlichen Stimmung. Mal richtete sich der Fokus vor allem auf die eigenen Probleme "vor der Haustür", mal öffneten sich die Menschen stärker für die länderübergreifenden, verbindenden Perspektiven. Auch wirkungsvolle Formen des Protests und der Solidarisierung mit den Betroffenen kamen zur Sprache. Hier wurde insbesondere die Beziehungsarbeit – die auch für den Entstehungsprozess des Films wesentlich war – anstatt konfrontativer Aktionen in den Fokus gerückt.
Wirkungsvoll, so zeigten die Beispiele in den vier Ländern, können Bewegungen vor allem sein, wenn sie sich für ein gemeinsames Ziel über Partikularinteressen hinweg vernetzen – und so den Grundgedanken von Demokratie leben.


Buch & Regie: Annette Dorothea Weber
Montage & Motion Design: Jo Jacobs
Kamera: Arthur Bauer, Annette Dorothea Weber, Juan Sebastian Lopez Galeano, Carlos Molina Lloréns
Musik: Mike Rausch
Produktion: Kunst und Demokratie e. V.

Die nächste Vorführung von "High Noon – Europa im Energierausch" findet im Rahmen der Wasserkonferenz in Köln am 22.03.2025 statt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Artists Highlighting the Water Crisis" wird der Film am 25.05.2025 im Cinema Quadrat in Mannheim gezeigt und am 07.06.2025 im BernePark Bottrop. Termine für weitere Vorstellungen 2025 in Hoyerswerda, Görlitz, Potsdam und Schleife werden noch bekannt gegeben.
Der Film ist ein Projekt von Kunst & Demokratie e. V. Die Freudenberg Stiftung förderte das Projekt gemeinsam mit den Open Society Foundations im Rahmen des europaweiten Transfers von Community Art.

Trailer: https://vimeo.com/1025790087?share=copy